"Die Hauptschule ist am Ende"

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So titeln die Westfälischen Nachrichten.
„Anmeldungen sinken auf Rekordtief / Gymnasien erleben starken Zulauf“ lautet der Untertitel.

9,9 Prozent Übergangsquote

Landesweit wechseln mit dem Beginn dieses Schuljahres weniger als zehn Prozent der Grundschüler in eine fünfte Klasse an einer Hauptschule. Das ist der niedrigste Wert in der Geschichte des Landes. Die Entwicklung löst an vielen betroffenen Schulen Trauer aus. Als Beispiel mag die Hermann-Gmeiner-Schule in Gronau gelten. (Lesen Sie hier den Bericht in den WN.)

Ziel der Schulreform von 1968 nicht erreicht

Es ist nach der Schulreform von 1968 (bundesweit) nicht gelungen, die damals drei Regelschulformen der Sekundarstufe I (Gymnasium, Hauptschule, Realschule) als gleichwertige, wenn auch verschiedenartige Schulen zu etablieren. Die Hauptschule als Nachfolgerin der Volksschuloberstufe blieb in dieser Kette von vornherein das Glied mit dem geringsten Ansehen. Dabei hatte die Hauptschule durchaus einen interessanten, nämlich deutlich berufsvorbereitenden Auftrag. In dieser Schulform wurden zuerst Schülerbetriebspraktika erprobt und eingeführt, Projektunterricht und Projektwochen standen auf dem Programm. Die Übergangsquote von 60 und mehr Prozent bescherte den Hauptschulen vor allem im ländlichen Raum eine heterogene Schülerschaft, in der – wie es sein soll – die Schüler in ihrer Vielfalt einander anregen konnten (Lernprozesse) und Vorbild und soziale Kontrolle sein konnten (Verhalten).

Einführung der Gesamtschule als vierte Regelschulform

Im Ruhrgebiet zum Beispiel oder in den Stadtstaaten wie Berlin, Hamburg und Bremen wurden Gesamtschulen zusätzlich zum bestehenden Schulsystem errichtet, eine integrative Schulform neben segregierenden – also Schülerschaften auswählenden – Schulformen. Das konnte nicht gut gehen, so dass die Gesamtschulen in den Ballungsräumen die meisten Hauptschüler aufnahmen und die Hauptschulen begannen, auszubluten. Dieser Prozess blieb nicht auf diese Regionen beschränkt. Wo die Gesamtschulen fehlten, begann die sogenannte Querverschiebung – die Realschule nahm Schüler der Hauptschulklientel auf, das Gymnasium die potentiellen Realschüler, so dass das Gymnasium wuchs und die Hauptschule verkümmerte.

Hauptschulen als innovative Schulen

Die Hauptschulen haben in der Folge nicht nur weniger, sondern auch vielfach negativ ausgelesene Schülerinnen und Schüler unterrichten müssen; die leistungsfähigeren und sozial kompetenteren blieben weg – ein Prozess, der sich selbst beschleunigte. In der Folge entwickelten die Hauptschulen auf der systemischen Ebene genauso wie in vielen einzelnen Schulstandorten Lösungen für vielfältige Probleme. Obwohl die Rechtslage anders war, wurden überwiegend bis ausschließlich die Kinder, die Deutsch als Zielsprache lernen mussten, an Hauptschulen unterrichtet – eine Klientel, die in mancherlei Hinsicht Begabungsreserven bot. Kinder mit einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) besuchten die Hauptschule, obwohl das Typische bei dieser Teilleistungsschwäche oft eine überdurchschnittliche intellektuelle Leistungsfähigkeit. Für Schüler, die auf „normalen“ Wegen den Hauptschulabschluss nicht erreichen konnten, wurden – oft in Zusammenarbeit mit der örtlichen oder regionalen Wirtschaft – Curricula und Lernprozesse organisiert, die auf ihre spezifischen Fähigkeiten ausgerichtet waren.

„Prüft alles und behaltet das Gute“

Das möchte man mit Paulus (1 Tess 5,21) den Verantwortlichen für die neuen Schulformen zurufen. Die Hauptschüler verschwinden nicht durch das Verschwinden der Schulform Hauptschule. Die Leistungsverletzten, die immer wieder durchs Prüfungsnetz gefallenen, diejenigen ohne Rückhalt im Elternhaus – sie wird es weiterhin geben. Für sie gilt es die guten Ansätze, Organisationsformen und Methoden der Hauptschule zu erhalten. Die Qualität eines Schulwesens misst man nicht (nur) an den Abiturientenquoten, auch daran, ob es gelingt, auch schwierige Bildungs- und Erziehungsaufgaben zu meistern.