Schulformwechsel – Die traumatische Erfahrung

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Eine neue Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung bringt es auf den Punkt: Sie heißt:

  Schulformwechsel in Deutschland

Durchlässigkeit und Selektion in den 16 Schulsystemen der Bundesländer innerhalb der Sekundarstufe I

Bereits im Vorwort liest man, dass etwa 100.000 Schülerinnen und Schüler im letzten Jahr die Schulform in den Klassen 5 bis 10 gewechselt haben, nur ein Viertel davon stiegen in eine „höhere“ Schulform auf, drei Viertel wurden in eine niedere Schulform abgeschult. „Sie wurden beispielsweise vom Gymnasium in die Realschule oder von der Realschule in die Hauptschule abgeschult, um die ‚Passung‘ zwischen ihrem vermeintlichen Leistungsvermögen und der Lernumgebung wieder herzustellen. Jeder Schul- oder gar Schulformwechsel ist ein einschneidendes Erlebnis für den betroffenen Schüler. Ein Abstieg ist zudem aber die Erfahrung schulischen Scheiterns, die auf die Motivation und das Selbstvertrauen des Jugendlichen langfristig negative Auswirkungen haben kann“, heißt es dort.

Besonders schwierig stellt sich die Situation natürlich für diejenigen Schülerinnen und Schüler dar, die gleich zweimal absteigen müssen, sie verlassen das Gymnasium, kommen in die Realschule und scheitern auch dort, landen dann in der Hauptschule. Und damit wird die Situation für die Hauptschule wieder schwierig. Hierzu heißt es: „Besonders problematisch sind die Folgen solcher Abschulungen am unteren Ende des Bildungssystems. Hier fangen Hauptschulen im Laufe der Sekundarstufe I immer mehr Schüler auf, deren Schullaufbahnen durch Misserfolge geprägt sind. An den Hauptschulen in Nordrhein-Westfalen wächst die anfängliche Schülerschaft durch Schulformwechsler um 29 Prozent, in Niedersachsen gar um 42 Prozent. Das heißt, dass in Niedersachsen am Ende der Hauptschulzeit jeder dritte Schüler ein Absteiger ist, in Nordrhein-Westfalen annähernd jeder vierte. Damit entwickelt sich diese Schulform zu einer ‚Restschule‘ – sie wird von Eltern gemieden und Schüler gelangen zu großen Teilen unfreiwillig dorthin. Die dadurch entstehenden Lernmilieus erschweren die pädagogische Arbeit an diesen Schulen erheblich.“

Schlimmer als die Folgen für das System sind natürlich die Konsequenzen für die betroffenen Schülerinnen und Schüler. Dem Abstieg geht oft ein Sitzenbleiben voraus, manchmal zwei Wiederholungen von Klassen, weil der Schulformwechsel aus verständlichen Gründen immer wieder herausgeschoben wird. Das heißt, dass in der Hauptschule ein Kind ankommt, dessen schulische Biographie durch wiederholte tiefgreifende Versagenserlebnisse geprägt ist, das in seiner schulischen Laufbahn ein oder mehrere Jahre hinter den Gleichaltrigen herhinkt, ein Kind, das seine Klassenkameraden und damit soziale Bezüge aufgeben musste, ein Kind, das die Motivation zum Lernen für Schule überhaupt verloren hat.

Integrative Schulformen wie Gesamtschule oder Sekundarschule sehen einen solchen Wechsel von Schulformen nicht vor. Sicherlich versagen auch hier Schüler, die Folgen sind aber nie der Wechsel des Lebensraumes Schule. Die Kinder bleiben im System, bleiben bei ihren Freunden, wechseln wohl einzelne Kurse, aber nie den Verband als Ganzes.

Zum Schluss noch relevante Aussagen für Nordrhein-Westfalen: „In Bundesländern wie Niedersachsen, Hessen und Nordrhein-Westfalen zeigt sich ein ungünstiges Verhältnis von Aufstieg zu Abstieg. Diese Länder haben ein sehr differenziertes, mehrgliedriges Schulsystem, in dem die Hauptschule keine große Bedeutung mehr hat. Die Verlockung abzuschulen scheint groß. Die Hauptschulen entwickeln sich in diesen Ländern zu „Restschulen“. Es fehlt das Aufsteigerpotenzial aus der Hauptschule, das in Bayern oder Baden-Württemberg zu einem besseren Verhältnis von Aufstieg zu Abstieg führt.“ (Kursive Hervorhebung vom Verfasser H. V.)

Übrigens: Als ich in Gescher tätig war, wechselte im Laufe eines Durchgangs von Klasse 5 bis 10 eine ganze zusätzliche Klasse in die Hauptschule – hauptsächlich von der Realschule.