Ein Blick weit zurück: Geschichte der Hauptschule I

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Zwei Schulformen im Land und zwei Schulen in Gescher gehen ihrem Ende entgegen

Wenden wir uns nun einem ganz anderen Aspekt zu: Mit der Gründung der Gesamtschule in Gescher werden die beiden bisherigen Schulen der Sekundarstufe I, Hauptschule und Realschule, schrittweise aufgelöst, weil und indem sie keine neuen Eingangsklassen mehr bilden. Beide haben eine lange Tradition – die Hauptschule als Nachfolgerin der Volksschuloberstufe, die Realschule als Weiterführung der früheren Mittelschule.
Das Schicksal der Hauptschule war schon lange absehbar, nicht nur, aber auch in Gescher. In einigen Orten gibt es noch ausschließlich das gegliederte Schulwesen der Sekundarstufe I, also Gymnasium, Realschule und Hauptschule – so in Coesfeld. In anderen Orten gibt es nur Teile davon – Hauptschule und Realschule wie früher in Gescher – oder nur eine Hauptschule – wie früher in Südlohn oder Billerbeck. Es ist absehbar, dass diese Strukturen nicht mehr lange bestehen werden. In nur noch fünf von sechzehn Bundesländern existiert sie als eigenständige Schulform.
Bis zum Jahre 2011 (18./19. Oktober) wurde der Bestand der Hauptschule durch die Landesverfassung garantiert.[1]Im Wettlauf um Schülerinnen und Schüler gewann aber immer deutlicher die Schulform Realschule. Man kann sagen: Sie siegte sich zu Tode. Dabei musste doch klar sein: Wenn es mangels Masse keine Hauptschule mehr gibt, werden die künftigen potenziellen Hauptschüler in den übrig gebliebenen Schulformen beschult, die dann notgedrungen integrativ sind.
In den kommenden Wochen will ich ein wenig über die Geschichte der Hauptschule in Nordrhein-Westfalen aufschreiben. Die Hauptschule in Gescher, die Don-Bosco-Schule, soll Steinbruch für einige illustrierende Beispiele sein.

Der „Deutsche Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen“

Der Gedanke einer neuen Schulstruktur, in der die frühere Volksschule aufgehen sollte, wurde im „Rahmenplan“ des „Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen“ formuliert. Dieser Ausschuss wurde 1953 durch Innenministerium und Kultusministerkonferenz eingesetzt. Er bestand aus unabhängigen Persönlichkeiten, die als Experten für Erziehung und Bildung gelten konnten. Er bestand bis 1965, dann wurde er durch den „Deutschen Bildungsrat“ ersetzt.[2]
Der Rahmenplan sah eine vertikale Dreigliedrigkeit bei Auflösung der bisherigen Form der Volksschule vor, nämlich eine vierjährige Grundschule, eine zweijährige Orientierungsstufe und darauf aufsetzend die horizontale Dreigliedrigkeit von Hauptschule, Realschule und Gymnasium. Ziel dieses Vorschlages war zunächst, durch die Einführung einer gemeinsamen Orientierungsstufe mit den Klassen 5 und 6 die Auslese für die weiterführenden Schulen aufzuschieben. Die neue Schulform Hauptschule sollte eine Aufwertung der bisherigen Volksschule erfahren, indem

  • ein 9., später auch ein 10. Schuljahr,
  • neue Fächer, vor allem das Fach Arbeitslehre zur Vorbereitung auf die Berufswelt,
  • eine Fremdsprache und
  • ein nach Leistung differenzierendes Kurssystem in wichtigen Fächern
  • eingeführt werden sollten. 1964 legte die Kultusministerkonferenz für diese Schulform im sogenannten Hamburger Abkommen den Begriff „Hauptschule“ fest.[3]Das Konzept des Deutschen Ausschusses wurde im Anschluss wenn nicht in allen Punkten, so doch im Wesentlichen umgesetzt. Die Hauptschule schloss an die vierjährige Grundschule an (mit länderspezifischen Ausnahmen) und wurde wie Realschule und Gymnasium nunmehr „weiterführende Schule“.

    Einführung in Nordrhein-Westfalen

    In Nordrhein-Westfalen wurde die Schulreform 1968 umgesetzt – als Gesetz im März, in der Schulwirklichkeit ab August.
    In Gescher wurde die Trennung der Volksschulen in Grund- und Hauptschulen erst ein Jahr später vorgenommen. Der Grund lag darin, dass der Neubau einer dritten Volksschule am Borkener Damm einerseits noch nicht fertig war, andererseits nun eine Hauptschule werden sollte. Der damalige Rektor der Pankratiusschule, Werner Marx, kümmerte sich in besonderer Weise um die baulichen Fragen, aber auch um die inhaltliche Gestaltung dieser neuen Schule. Marx war hierfür prädestiniert: Er genoss das Vertrauen des Schulrates Heinrich Kreis, war Vorsitzender des Personalrates, Leiter einer (von drei) Junglehrerarbeitsgemeinschaften, die damals für die Vorbereitung der Junglehrer auf die Zweite Staatsprüfung zuständig waren. Ich war seit August 1968 Lehrer der damaligen Pankratiusschule und nahm nun an allen Konferenzen teil, die häufig die künftige Hauptschule als Thema hatten. In die Planung und Vorbereitung des Schulbetriebs der neuen Schule flossen Herzblut und Schweiß von Werner Marx ein.
    Passend zur neuen Schulform traten neue Richtlinien und Lehrpläne in Kraft, die durch Wolfgang Klafki, einen jungen, aber schon bekannten Tübinger Schulpädagogen, inspiriert und konzipiert waren. „Rechnen und Raumlehre“ hieß nun „Mathematik“, „Leibesübungen“ waren nun „Sport“, statt „Naturlehre“ hieß es „Physik“ und „Chemie“, aus „Naturkunde“ wurde „Biologie“ usw. Der Anspruch dieser neuen Schulform wurde damit klar – sie wollte und sollte mit einem eigenen, wenn auch anderen Bildungsauftrag gleichberechtigt neben der Sekundarstufe I der Realschule und des Gymnasiums stehen. Bald schon gab es die ersten Schulversuche mit 10. Klassen an Hauptschulen, die den Mittleren Bildungsabschluss, die im Volksmund sogenannte „Mittlere Reife“ vermitteln sollten, ein Prozess, der mit der Einführung des zehnten Vollzeitpflichtschuljahres für alle Schüler in Nordrhein-Westfalen 1980 zu einem bis heute gültigen Ziel kam.


    [1] Im sogenannten „Schulkompromiss“ trat dann auch zuletzt die CDU nicht mehr für deren Erhalt ein.
    [2] Vgl. hierzu: Hans-Georg Herrlitz/Wulf Hopf/Hartmut Titze/Ernst Cloer: Deutsche Schulgeschichte von 1800 bis zur Gegenwart: Eine Einführung. Juventa Verlag, Weinheim – München. 52009, S. 166 ff
    [3] Vgl. Jürgen Rekus/Dieter Hintz/Volker Ladenthin: Die Hauptschule. Alltag, Reform, Geschichte, Theorie. Juventa Verlag, Weinheim – München. 1998, S. 209 ff