Gedanken zu einem Gastbeitrag der Ministerpräsidentin des Saarlandes, Annegret Kramp-Karrenbauer in der ZEIT
Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich in der ZEIT – Ausgabe 31 – zum Thema „Inklusion in Schulen“ geäußert. Sie tut dies differenziert und sachlich mit wichtigen Hinweisen auf Notwendigkeiten des Prozesses in den Schulen. Dass sie dabei als Politikerin das Wort ergreift ist sinnvoll, denn die Politik entscheidet im jeweiligen Bundesland über wichtige Strukturen und Ressourcen. Dass eine Ministerpräsidentin sich hierzu äußert, nicht etwa der Schulminister, belegt die Bedeutung, die sie dem Aufgabenbereich zumisst.
Inklusion ist nicht nur eine Aufgabe für Schulen
Wer die UN-Konvention liest, die die Bundesrepublik unterschrieben hat, wird rasch feststellen, dass die Diskussion sehr verkürzt nur mit Blick auf die Schulen geführt wird. Wie schon in meinem Post „Inklusion – nötig und schwierig“ beschrieben, handelt es sich aber um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe: „Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern.“ (Artikel 1 des Vertrages)
Inklusion ist auch eine Aufgabe der Politiker
Oft wird so getan, als müsse man nur die Lehrer fortbilden und die Schulen auf diesen Prozess vorbereiten, dann könne man das weitere Procedere getrost den „Fachleuten“ überlassen. Der Entscheidungsprozess greift jedoch weit über die Pädagogik, über Kitas und Schulen hinaus – es geht um den gesamten öffentlichen Raum, um Kultur, um Verkehr und vieles mehr; aber nicht zuletzt geht es um Grundsatzentscheidungen darüber, wie eine Gesellschaft mit ihren so sehr unterschiedlichen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen umgeht. Diese Grundsätze müssen politisch diskutiert und entschieden werden.
Frau Kramp-Karrenbauer: Was soll Politik tun?
Hier nennt sie sechs Punkte, die kurz vorgestellt werden sollen.
- Die Politik darf Inklusion (in Schulen) „nicht gegen das bestehende System betreiben“.
Richtig: Das bisherige System hat Stärken und Schwächen. Es kann und muss optimiert werden. Aber es hat keinen Ewigkeitswert, sondern ist nur insoweit berechtigt, als es behinderte Kinder besser fördert als eine Regelschule. Denn: - „Sie muss den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt stellen.“
Und für jeden einzelnen Menschen den richtigen Förderort finden und gestalten. - „Sie darf Inklusion nicht mit der Brechstange durchsetzen, sondern mit Blick auf Möglichkeiten, Ressourcen und die Interessen aller Beteiligten – auch der Nichtbehinderten.“
Richtig: Es geht um den“gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten“. Die vorhandenen Ressourcen müssen gerecht auf alle verteilt werden. Und die Interpretation von „gerecht“ wird die Politik grundsätzlich und dann in jedem Haushaltsplan neu vornehmen müssen. - „Sie muss deutlich machen, dass Inklusion bedeutet, Menschen mit Behinderungen nicht schlechter-, aber auch nicht besserzustellen. Das Gymnasium etwa soll als Schulform zum Abitur führen. Daran bemisst sich die Frage des Zugangs. Und zwar für alle Kinder – egal, ob behindert oder nicht behindert.“
Und hier muss man ihr deutlich widersprechen: Wenn das Gymnasium nur Kinder aufnimmt – behinderte wie nichtbehinderte – die es zum Abitur führen kann, wie sieht es dann mit der Realschule aus? Nimmt sie nur Kinder auf, die sie zum Mittleren Bildungsabschluss führen kann? Und die Hauptschule nur solche, die sie zum Hauptschulabschluss führen kann? Kurz: Sollen Schulen überhaupt nur die Kinder aufnehmen, die sie zielgleich (also zum gleichen Abschluss wie Nichtbehinderte) fördern können? Wo bleiben dann alle die Behinderten, die nie einen Schulabschluss erreichen werden? Wenn das gemeint ist, dann ist der Begriff „Inklusion“ zu eng. Aber wahrscheinlich ist etwas anderes gemeint: Das Gymnasium soll von lästigen pädagogischen Aufgaben freigehalten werden. Beim Thema Immigration haben die Gymnasien die Hauptschulen vorgeschickt; obwohl sie rechtlich zur Sprachförderung verpflichtet waren, haben sie sich erfolgreich geweigert, diese Aufgabe zu übernehmen. Nun gibt es im Saarland schon seit langem die Hauptschule als Schulform nicht mehr, so bleibt der Schluss: Die gymnasialen Eltern sind so wichtig, dass diese Klientel von den Schwierigkeiten verschont bleiben soll, die zieldifferente Förderung mit sich bringt – also Schüler nach ihrem individuellen Vermögen zu fördern, ohne Rücksicht darauf, ob sie mit dem Klassenverband in einer Front zum gleichen Ziel mitmarschieren können. - „Sie muss Inklusion als dauerhaften vielschichtigen Prozess verstehen. Wir haben am jetzigen System jahrzehntelang gebaut, und wir werden auch für den inklusiven Prozess lange brauchen.“Richtig.
- „Sie muss von Inklusion überzeugen, und das geht am besten mit eigenen guten Beispielen.“Richtig, zu den Beispielen zählt Frau Kramp-Karrenbauer zum Beispiel eine einfachere Sprache in Behördenbriefen.
Fazit
Gut ist, dass eine hochrangige Politikerin sich so detailliert und mit Augenmaß zu diesem schwierigen Thema äußert. Problematisch ist es, wenn man Politik für Wählergruppen (hier Eltern und Lehrer des Gymnasiums), nicht für alle betroffenen Menschen machen will. Die ZEIT hat übrigens in der gleichen Ausgabe auf S. 59 unter der Überschrift: „Wir gehen aufs Gymnasium!“ vier Schüler vorgestellt, die zieldifferent in Gymnasien gefördert werden – mit Down-Syndrom oder mit starken Entwicklungsrückständen. Gleichzeitig werden die Bedingungen beschrieben, unter denen die Förderung abläuft, vor allem auch der Einsatz von Sonderschullehrern und Integrationshelfern.