Eine kleine Geschichte der städtischen Realschule Gescher – Teil I (1924 – 1951)

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Im Zuge der Entwicklung des gegliederten Schulwesens in der Sekundarstufe I, also den Klassen 5 bis 10, nahm die Schulform Realschule im Laufe der Jahre einen immer größeren Raum ein. Am Fallbeispiel der städtischen Realschule Gescher wollen wir einen konkreten Blick darauf werfen – von den Anfängen bis zu ihrer bevorstehenden Auflösung.

Realschulen und Mittelschulen im 19. Jahrhundert

Historisch gesehen hat sich die Realschule aus einer bunten und vielfältigen Reihe unterschiedlicher Schulform heraus entwickelt.  Schon früh trugen praxisorientierte Schulen die Bezeichnung Realschule, ohne dass sie wirklich als Vorläufer der jetzigen Realschule gesehen werden könnten. Sie vergaben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Preußen einen mittleren Abschluss, der unter anderem dazu berechtigte, den Militärdienst von drei Jahren auf ein Jahr zu verkürzen; daher stammt das Einjährige als volkstümliche Bezeichnung dieses Abschlusses. Aus einem Gemisch von mittelbildenden Schulen (höhere Töchter- und Knabenschulen, Stadtschulen, Bürgerschulen und Rektoratsschulen) erwuchs 1872 eine eigenständige Mittelschule. Über drei Neuordnungen in Preußen hinweg hielt sie sich und wurde nach 1945 als eigene Schulform wieder eingerichtet.“ Wikipedia – Realschule

Elementarschulen in Gescher

Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein gab es in Gescher ausschließlich Elementarschulen, auch damals schon „Volksschulen“ genannt.

Eine Auflistung der Elementarschulen im damaligen Kreis Coesfeld aus dem Jahr 1864 weist folgende Schulen in Gescher auf:

1864: Knabenschule zu Gescher , Größe 442 Quadratfuß (=41 qm), 125 Kinder, davon 9 arme Kinder schulgeldfrei, Eintrittsgeld 1 Sgr 10 Pfg jählich, Schulgeld für Sommer- und Wintersemester je 11 1/4 SGr, Tintengeld 1 1/4 Sgr dazu Heizungskosten von 2 SGr 11 Pfg pro Semester, 1 Lehrer, Mietwert der Lehrerdienstwohnung 15 Rt, Gesamtjahresgehalt auf 207 Taler und 5 Taler als Chorsänger.  
Gescher – GenWiki

1864: Mädchenschule zu Gescher , Größe 1.024 Quadratfuß (=95,1 qm), 100 Kinder, davon 9 arme Kinder schulgeldfrei, Eintrittsgeld 1 Sgr 10 Pfg jählich, Schulgeld für Sommer- und Wintersemester je 11 1/4 SGr, Tintengeld 1 1/4 Sgr dazu Heizungskosten von 4 SGr 10 Pfg pro Semester, 1 Lehrerin, Mietwert der Lehrerdienstwohnung 20 Rt, Gesamtjahresgehalt auf 163 Taler.
Gescher – GenWiki

Auch in Haus Hall gab es im 19. Jahrhundert bereits eine Elementarschule:

Die Elementarschule in Haus Hall zählte 1858 bereits 92 Schüler und 1862 insgesamt 110 Schüler.  
Haus Hall (Gescher) – GenWiki

Man wundere sich nicht, dass es für 125 Knaben nur einen Lehrer und für 100 Mädchen nur eine Lehrerin gab. Dazu kam die unzureichende Ausbildung dieser Lehrkräfte, die sich aus ehemaligen Volksschülern durch den Besuch einer Präparandie und eines Lehrerseminars zu Lehrkräften entwickelten.

Dr. Hüer und seine Initiative für eine „gehobene Abteilung“ 1924

Die Entwicklung des allgemeinbildenden und des berufsbildenden Schulwesens schritt zunächst langsam, im 20. Jahrhundert aber rascher voran. In Gescher war Dr. Hans Hüer, seit 1923 Rektor der Volksschule des Gesamtschulverbandes Gescher-Harwick, eine treibende Kraft. („Gesamtschulverband“ heißt, dass die beiden Gemeinden Gescher und Harwick einen Vertrag geschlossen hatten, die Volksschule in Gescher gemeinsam zu unterhalten und zu tragen.) Als die jetzige Realschule , die im kommenden Jahr 2018 endgültig ausläuft, im Jahr 2015 ihren 90. Geburtstag feierte, blickte sie bereits auf eine lange Geschichte zurück, die allerdings 1925 noch nicht in der Form einer Mittel- oder Realschule begründet wurde.
So heißt es beim Stadtarchiv Gescher: Nachdem die Volksschule in der Schulstraße nicht mehr genügend Platz für die mehr als 400 Schüler besaß, nahm man am 3. Januar 1910 den Betrieb in der angekauften Villa Glumm an der Armlandstraße auf. 1925 wurde die gehobene Abteilung eingeführt, in der begabte Schüler gefördert und somit auf den Besuch der Gymnasien in Coesfeld vorbereitet wurden.
Stadtarchiv Gescher – Findbuch (Beschreibung Depositum 1 Pankratiusschule)

Die so beschriebene „gehobene“ Abteilung nahm bereits Ostern 1924 die Arbeit auf, ein Jahr bevor am 16. April 1925 die erforderliche Genehmigung eintraf. (Vgl. auch Realschule Gescher – Schulgeschichte) Sie war nach preußischem Recht („Bestimmungen von 1925“) Teil der Volksschule, die ab 1933 Hindenburgschule hieß. Der Unterricht fand zunächst in einer Dienstwohnung in dem Haus Schulstraße 11 statt, danach ab 1926 in dem Gebäude Schulstraße 13. Nach drei Jahren gab es dann die erste Abschlussprüfung in der „gehobenen Abteilung“. Die Schüler wurden in die Untersekunda (Klasse 10) des Staatlichen Gymnasiums in Coesfeld eingeschult. Das Ziel dieser Abteilung war also erst nach dem Besuch des Gymnasiums endgültig erreicht.

Zur Person Dr. Hans Hüer

Dr. Hüer war insofern ein Glücksfall für die Schulentwicklung in Gescher, als er für den Beruf des Volksschullehrers eigentlich überqualifiziert war: Promotion zum Dr. phil. mit einem kunsthistorischen Thema, Examen als Realschullehrer, Praxis in der Ausbildung von Volksschullehrern. (In Coesfeld gab es zu Beginn des letzten Jahrhunderts ein Lehrerseminar, an dem Volksschullehrer ausgebildet wurden, hier unterrichtete Hüer ab 1917 als Präparandielehrer.)

Aus dem Stadtarchiv Gescher: Am 24. April 1891 wurde Hans Hüer als Sohn eines Lehrers in Hemsen / Kreis Meppen geboren. Er selbst wurde auch Lehrer. Im Jahre 1917 kam er als Präparandenlehrer an das Lehrerseminar in Coesfeld und wurde 1923 Rektor an der Volksschule in Gescher. Bereits vor dem 1. Weltkrieg war er mit kleinen heimatkundlichen Beiträgen an die Öffentlichkeit getreten. In den folgenden Jahren entwickelte er sich zu einem Kenner der örtlichen Geschichte.Folgende Ämter übte er in der Folgezeit aus:
Archivar der Stadt Gescher von 1932-1968
Kreisheimatpfleger von 1934-1968
Kreisbeauftragter für Naturschutz von 1925-1968
Vorsitzender des Heimatvereins Gescher von 1924-1968
Pfleger für geschichtliche Bodendenkmäler von 1925-1968
Korrespondierendes Mitglied der pädagogischen Akademie Lünen 1947
Mitglied der Fachstelle Geschichte des Westfälischen Heimatbundes
Kreisbeauftragter der Archivberatungsstelle von 1935-1945
Mitglied des Schulfunks beim WDR von 1956-1968
Stadtarchiv Gescher – Findbuch (Beschreibung Nachlass Dr. Hans Hüer)

Für die Mittelschulen in Preußen gab es stark unterschiedliche Pläne – von I bis V. Sie variierten je nach Berufswunsch und Bildungszielen. In der fünfjährigen Einrichtung in Gescher wurden die Jungen und Mädchen der „gehobenen Abteilung“ nach Plan V des Mittelschulwesens unterrichtet.  Plan V bereitete die Schüler der Mittelschule auf einen späteren Übergang zu einer Höheren Schule vor. Fremdsprache war Latein. Schulen, die diese Aufgabe wahrnahmen, hießen schon im 19. Jahrhundert Rektoratschulen.

Von der „gehobenen Abteilung“ über die Rektoratschule zur Mittelschule

In Gescher gab es die „gehobene Abteilung“ bis 1945. Dann wurde sie als „Nazi-Einrichtung“ aufgelöst. 1946 wurde ein Ersatz als selbständige fünfklassige Rektoratsschule in neuer Form gegründet. Und auch dann war diesenoch keine Mittelschule. Die neue Rektoratsschule wurde zunächst in der Schulstraße, dann aber in dem Gebäude an der Armlandstraße untergebracht.

Am 2. April 1946 erfolgte die feierliche Eröffnung der selbständigen fünfklassigen Rektoratschule. Das Lehrerkollegium bestand aus dem kommissarischen Schulleiter Bernhard Schubert, den Lehrern Krusenbaum und Wächter und der Lehrerin Hackenfort aus Stadtlohn. Am 15. Juni stieß Lehrer Julius Klein dazu. Im März 1947 besuchten 80 Knaben und 54 Mädchen die Schule. Im Schuljahr 1948/49 stieg die Schülerzahl schon auf 177. (Wiemold, Willi: Gescher im 20. Jahrhundert. Die Jahre 1931 bis 1950 in Bildern und Berichten. Selbstverlag Willi Wiemold, Gescher 2015. S. 223)

Mit dem Schuljahr 1946/47 übernahm also Bernhard Schubert zunächst kommissarisch die Leitung der Rektoratschule mit Standort an der Armlandstraße. Auf dem Stundenplan standen neben Religion, Deutsch, Rechnen und Raumlehre, Geschichte und Erdkunde, aber auch Musik, Zeichnen Naturkunde sowie Leibesübungen. Erste Fremdsprache blieb Latein, später kamen Englisch und Französisch hinzu.
Vgl. Realschule Gescher – Schulgeschichte

Erst mit Erlass des Kultusministers vom 31. Januar 1949 wurde aus der fünfjährigen Rektoratschule eine sechsjährige Mittelschule. (Vgl. Bericht der Allgemeinen Zeitung vom 3. März 1949, zit. Wiemold, a. a. O., S. 222 f) Ab dann kann man mit Fug und Recht von einer „Mittelschule“ in Gescher reden. (Als „Mittelschule“ wurde diese Schulform bezeichnet, weil sie zwischen Volksschule und höherer Schule eingeordnet wurde. Ihr Abschluss hieß auch „Mittlere Reife“.) Mit Beginn des Schuljahres 1951/52 wurden die Mittelschulen in Nordrhein-Westfalen in Realschulen umbenannt, so auch die Mittelschule in Gescher.

Das Schulgeld betrug bis zur Währungsreform 1948 monatlich 20 RM (Reichsmark), später 20 DM. Im Jahr 1949 konnten die Schülerinnen und Schüler den „Reifeabschluss“ ablegen.
Vgl. Realschule Gescher – Schulgeschichte

Dr. Hans Hüer, der die Mittelschule so früh vorbereitet hatte, nahm nach einer Unterbrechung nach Ende des Krieges weiterhin seine Aufgaben als Rektor der Volksschule wahr; er wurde nicht zum Leiter der neuen Schule ernannt. Seine Mitgliedschaft in der NSDAP führte zunächst (1947) zu einer Einstufung als „Mitläufer“ durch die Militärregierung. Seine Berufung dagegen führte 1949 zu seiner Entlastung.

Hüer war in vielen Bereichen ehrenamtlich oder nebenberuflich tätig, die oben zitierte Liste ist nicht vollständig. 1961 wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt.
Vgl. Ortsfamilienbuch Coesfeld – Familienbericht Dr. Hans Hüer