Eine kleine Geschichte der städtischen Realschule Gescher – Teil III (1987 bis 2017)

Gepostet von

1987 wurde Frau Bonhoff nach zwanzig Jahren als Leiterin der Realschule Gescher verabschiedet. Sie lebt bis heute – 2017 – in der Stadt und hält Kontakt zu „ihrer“ Schule. Im November 2014 waren Lehrer und Schüler zu Besuch, die ihr ein Ständchen zu ihrem 90. Geburtstag brachten. Nachfolger wurde ihr Konrektor Manfred Wielens.

Schulleiter Manfred Wielens (1987 bis 1996)

Wielens übernahm die Leitung der Schule in einer Zeit des Umbruchs: Die demographische Entwicklung führte in den 80-er Jahren zu einer Verringerung der Schülerzahl, allerdings in geringerem Ausmaß als bei der Hauptschule, die mittlerweile Don-Bosco-Schule hieß. Die Übergangsquoten aus der Grundschule blieben stabil oder stiegen, während sie bei bei der Hauptschule sanken.

Wielens
Manfred Wielens 2016 – Foto: WN
Neugründung einer Realschule in Velen

Die kontinuierlich abnehmende Akzeptanz der Schulform Hauptschule zeigte sich auch in der Nachbargemeinde Velen, die in ihren beiden Ortsteilen über je eine Hauptschule verfügte – die Max-von-Landsberg-Schule in Velen, die Paulusschule in Ramsdorf. Die Optimierung der Schulentwicklung sah man in der Gründung einer Realschule in Velen, bei gleichzeitiger Zusammenlegung beider Hauptschulen in Ramsdorf. Die Schüler aus Velen, die traditionell die Realschule in der Nachbarschaft, gerade auch in Gescher, besuchten, wollte man so am Ort halten. Und auf Geschers Ortsteil Hochmoor hatte man bei dieser Standortentscheidung wohl auch ein Auge geworfen, denn Hochmoor lag näher an Velen als an Gescher. So kam es, wie es kommen musste: Die Realschule in Gescher bekam erneut Konkurrenz, diesmal durch Velens Neugründung. 1991 nahm die „Realschule Velen/Ramsdorf“ die Arbeit auf. In der Folge sank die Schülerzahl in Gescher deutlich. Gleichzeitig nahm die Zahl der Schüler ab, die von der Realschule zur Hauptschule wechseln mussten.

Ein Gymnasium in Gescher?

Der Umstand, dass es in Gescher kein Gymnasium gab und Gymnasiasten nach Coesfeld, Ahaus oder im Einzelfall gar nach Borken fahren mussten, kam der Realschule in Gescher zugute. Die Durchlässigkeit der Systeme führte dazu, das potenzielle Gymnasiasten zunächst zur Realschule gingen, um nach der zehnten Klasse in die gymnasiale Oberstufe zu wechseln und dort ohne Zeitverlust das Abitur zu erreichen. Diese Schüler trugen nach wie vor zu einer leistungsstarken Schülerschaft in der Realschule Gescher bei.

Anfang der 90-er Jahre wurden in Gescher Stimmen laut, ein Gymnasium zu errichten. Ohne Zweifel wären sowohl Haupt- als auch Realschule dadurch in Schwierigkeiten geraten. Zwar wurde eine Arbeitsgruppe aus Kommunalpolitikern und weiteren Mitgliedern eingerichtet, die Professor Wollersheim, Leipzig, in einem Schulentwicklungsprozess begleitete, dennoch kam es nicht zur Gründung eines Gymnasiums. Wollersheim hatte nach seinen Gesprächen und Untersuchungen zwei Möglichkeiten für Gescher gesehen: Entweder Errichtung einer Gesamtschule oder Errichtung eines Gymnasiums. In einem Leserbrief wurde seinerzeit auf die negativen Folgen einer Entscheidung für ein Gymnasium hingewiesen. Nicht zuletzt schien schon damals die Hauptschule mit ihren Schülern die Verliererin zu werden. Zwischen 1980 und 1990 war ihre Schülerzahl ohnehin von gut 1.000 auf knapp 500 gesunken.

Für eine Gesamtschule, die Alternative, war die Zeit noch nicht reif.

Ein Gymnasium in Stadtlohn

Während man in Gescher noch überlegte, schuf Stadtlohn Fakten: Im Eiltempo wurde ein Gymnasium beschlossen und rasch errichtet. Diese Schule erhielt später den Namen Geschwister-Scholl-Schule. Sie nahm alsbald – im Jahre 1995 – den Schulbetrieb auf. Stadtlohn lag näher als Coesfeld, und daher zogen immer mehr Eltern den Besuch des Gymnasiums in Stadtlohn dem in Coesfeld, Ahaus oder Borken vor. Gleichzeitig stieg die Übergangsquote aus Geschers Grundschulen zum Gymnasium an, zulasten der Realschule Gescher. Dass dann Eltern von Kindern mit Hauptschulempfehlung die Anmeldung zur Realschule anstrebten, leuchtet ein.

Kurz nach der Errichtung des Stadtlohner Gymnasiums endete die Ära Wielens.  Nach neun Jahren verließ er die Realschule Gescher, um für zwanzig Jahre die Leitung der Realschule in Ochtrup zu übernehmen. 2016 wurde er in den Ruhestand versetzt.

Schulleiter Heinz Wolberg (1997 bis 2017)

Heinz Wolberg hieß der Nachfolger von Manfred Wielens. In seine Zeit fielen ebenfalls aufregende Jahre.

PISA 2000 und Folgen

Das Ergebnis von PISA 2000 setzte im Eiltempo und unter öffentlichem Druck etliche Neuerungen in Gang, Qualitätsentwicklung war das Gebot der Stunde. Kernlehrpläne und Bildungsstandards wurden entwickelt, Vergleichsarbeiten eingeführt. Nicht zuletzt gab es auch ein neues Dezernat in den Schulabteilungen der Bezirksregierungen; es hieß 4 Q. Abteilung 4 ist traditionell die Schulabteilung und Q stand für Qualitätsanalyse.

Qualitätsanalyse

Aufgabe von 4 Q wurde die Qualitätsanalyse, in anderen Bundesländern auch Schulinspektion genannt. Nach einem Katalog von Kriterien wurden Schulen begutachtet – ihr Schulprogramm, die Unterrichtspraxis, Ausstattung und Räume und vieles mehr. Die Qualitätsprüfer kündigten ihr Kommen frühzeitig an, lasen vorbereitend viele Dokumente aus den Schulen und kamen dann für mehrere Tage in die Schule, beobachteten Unterricht, sprachen mit Elternvertretern, Vertretern des Schulträgers und mehr.

Die Qualitätsanalyse ist für alle Schulen in Nordrhein-Westfalen seit August 2006 ver­pflichtend. Ziel der Qualitätsanalyse ist es, durch ein Verfahren der externen Evaluation die Schule in ihrem eigen­verantwort­lichen systematischen Entwicklungs­­prozess, ins­besondere der Unterrichts­entwicklung zu unterstützen. Ziel der Qualitäts­analyse ist, Schulen datengestützte Erkenntnisse über ihre schulische Arbeit zur Verfügung zu stellen, die sie für ihre Weiterentwicklung nutzen können.

Quelle: Bezirksregierung Münster – Dezernat 4 Q

Vielleicht sollten wir hier schon festhalten, dass das Ziel der Qualitätsanalyse die Unterstützung des Entwicklungsprozesses der Einzelschule ist, nicht ein Ranking, das eine Position von Schulen innerhalb einer Rangliste des Bezirks oder gar des Landes  feststellte oder auch nur feststellen konnte. Erst jetzt, im Jahre 2017, hat die neue Schulministerin Gebauer erstmal die Absicht verlauten lassen, ein Schulranking in NRW einzuführen.

Im November 2010 wurde die Realschule in Gescher von den Qualitätsprüfern besucht. Das Verfahren war (und ist) standardisiert. Die Kriterien gelten für alle Schulen, am Ende gibt es eine Zusammenfassung in einer allgemein verbindlichen Form. Die Ergebnisse für die Realschule Gescher sind hier nachzulesen. Was die einzelnen Stufen (1 bis 4) bedeuten, ist am Ende erläutert. – Die damaligen Ergebnisse stellten sich ganz überwiegend in einem guten Bereich dar, Entwicklungsmöglichkeiten waren vor allem im Bereich Unterricht zu erkennen.

Zu den Qualitätsanalysen oder Schulinspektionen überhaupt kann man kritisch festhalten:

  • Sie basieren auf einem Qualitätsbegriff, der nicht legitimiert ist. Es gibt seit Jahrzehnten Literatur über „gute Schule“ und ihre Bedingungen, aber keine gesellschaftliche Diskussion, was denn „gute Schule“ sein soll. Im Kaiserreich Wilhelms II. wurde etwas anderes darunter verstanden als im Dritten Reich, in der Bundesrepublik etwas anderes als in der DDR. Die Landesregierung versteht in dem Programm „Gute Schule 2020“ Schulen in einem guten baulichen Zustand, sicher etwas anderes als dieselbe Landesregierung in der Qualitätsanalyse unter „guter Schule“ versteht.
  • Stattdessen gibt es ein Papier, das nicht vom Parlament, sondern von der Exekutive (Verwaltung) erstellt wurde. Es basiert auf einem nicht ausdrücklich thematisierten diffusen Konsens darüber, welche Kriterien bei einer Beurteilung einer Schule relevant sind.
  • Der Abstraktionsgrad des Papiers ist hoch und damit subjektiv interpretierbar. Eine Schule, deren Schüler schwache Leistungen bringen, kann dennoch eine gute Schule sein, wenn die Rahmenbedingungen überdurchschnittlich schwierig sind. Und umgekehrt: In manchen Einzugsbereichen kann kein Lehrer verhindern, dass Schüler gute Leistungen vorweisen.
  • Der Arbeitsaufwand bei der Vorbereitung der Überprüfung ist für die Schule sehr hoch. Diese Zeitressourcen fehlen bei der Bewältigung der täglichen Aufgaben.

Es gibt mittlerweile Bundesländer, in denen die Schulinspektionen bereits wieder abgeschafft werden.

Neuordnung der Sekundarstufe in Gescher

Stimmen aus der Stadtverwaltung und aus der Realschule haben in der Diskussion über den Schulentwicklungsprozess in Gescher die Ergebnisse der Qualitätsanalyse als Argument gegen das Auslaufen der Realschule und damit gegen die Errichtung einer Gesamtschule gesehen. Meines Erachtens zu Unrecht: Nach allem, was man aus der Literatur entnehmen kann, spielt die Schulform für den Schulerfolg von Schülern eine zu vernachlässigende Rolle. Die konkreten Lehrkräfte, ihre Kompetenzen, ihr Engagement, die Zusammenarbeit mit den Eltern, ihre Zuwendung, ihre Ermutigung und ihr Beispiel sind wesentlich wichtiger als die Schulform auf dem Schild der Schule. Hier soll allerdings keine Grundsatzdiskussion geführt werden. Wir zeichnen noch einmal nach, wie es zum Auslaufen der gut funktionierenden Realschule in Gescher kam.

Ein Blick auf die Schulentwicklung in Gescher (Quelle der Daten: Schulentwicklungsplan Stand März 2017)

 

SEP_Gescher

Wir sehen: Zur Hauptschule wurden zum Schuljahr 2009/2010 aus den Grundschulen Geschers  22 % zur Hauptschule und fast doppelt so viele, 41 %, zur Realschule und insgesamt 37 % zum Gymnasium angemeldet. In den folgenden Jahren sackte der Anteil der Hauptschule auf 19 Prozent. Der Anteil der Realschule schwankte zwischen 47 und 41 Prozent, der des Gymnasiums zwischen 28 und 40 Prozent. Zwei große Blöcke – Realschule und Gymnasien – nahmen im Schnitt etwa 80 % eines Schülerjahrgangs auf. Beim Start der Hauptschule in Gescher, 1969 und in den Folgejahren, betrug der Anteil der Hauptschule um die 70 %, später kontinuierlich abnehmend.

Es war also absehbar, dass die Hauptschule schon in den kommenden Jahren die gesetzlichen Voraussetzungen für einen geordneten Schulbetrieb nicht mehr erfüllen konnte. Sie hätte schließen und die Hauptschüler nach Coesfeld oder Stadtlohn fahren müssen. Ein weiteres Problem: Mit dem Verschwinden der Hauptschule wäre die Realschule gewissermaßen zur Hauptschule geworden. Sie wäre in der Hierarchie der Schulformen die unterste Stufe gewesen. In dieser Situation war für Gescher der Wechsel zur Gesamtschule, eventuell zur Sekundarschule, die einzige sinnvolle Lösung. Und ähnlich wie in Gescher wurde in Ahaus, Borken, Rhede, Bocholt und vielen anderen Städten in NRW verfahren. Funktionierende Realschulen wurden geschlossen, weil der Anteil dieser Schulform die Hauptschule in Existenznot brachte und das dreigliedrige Schulsystem durch die Unwucht in den Übergängen ad absurdum geführt wurde.

Dieser Sieg der Realschulen war ein Pyrrhus-Sieg. Ebenso wie für die Don-Bosco-Schule beginnt in diesem Monat das letzte Schuljahr für die städtische Realschule Gescher.

Der Rat der Stadt Gescher beschloss das Auslaufen der Realschule und der Hauptschule und schuf mit der Errichtung der Gesamtschule eine Schule, mit der auch das Abitur in Gescher möglich wurde.