Schlagende Lehrer und geschlagene Kinder – Teil II

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In diesem Teil sollen mögliche psychische Folgen für Kinder beschrieben werden. Was geschieht mit Ihnen, wenn eine Lehrkraft, Vater oder Mutter, überhaupt ein Erwachsener sie schlägt? Der Psychologe und Therapeut Roland Kopp-Wichmann (Jahrgang 1948) berichtet:

Ich erinnere mich, dass im Klassenzimmer meiner Volksschule rechts in der Ecke immer ein langer Stock stand, von dem der Klassenlehrer bei größeren „Vergehen“ öfters gebraucht machte.

Für kleinere Fehler (Heft vergessen, Schwätzen, Zu-Spät-Kommen etc.) gab es Tatzen. Mit einem Bambusstock, der etwa einen halben Meter lang war, schlug der Lehrer auf die ausgestreckten Finger. Zuckte man aus Angst zurück, gab es die doppelte Anzahl.

Beim Lesen des Buches fiel mir auf, dass ich das zuhause nie erzählt hatte. Natürlich wurde dies auch auf keinem Elternabend thematisiert. Einfach, weil es völlig normal war. Und weil viele Eltern dieselbe „Erziehungspraxis“ ausübten.

Quelle: Kopp-Wichmann: Der Persönlichkeits-Blog

Er beschreibt, welche langfristigen Folgen zu beobachten sind, wenn Kinder geschlagen wurden:

  • Angst und Vertrauensverlust
    Das Verhältnis zum schlagenden Erzieher, Lehrer oder Elternteil wird empfindlich gestört: Zuneigung mischt sich mit Angst, Vorsicht und Rückzug. Nicht Gespräch und Klärung von Motiven etwaigen Fehlverhaltens oder Aufzeigen von Handlungsalternativen lernt das Kind, sondern: In Beziehungen geht es um Macht . Dem Erzieher kann man sich nicht anvertrauen, seine Reaktion könnten Prügel sein. Das Kind fühlt sich hilflos und ausgeliefert, häufig einer Willkür, die es nicht vorhersehen kann.
  • Gewalt als Konfliktlösung
    Das Kind erfährt Gewalt als Mittel der Konfliktlösung. Eine unechte „Unterwerfung“ folgt den wiederholten Schmerzen. Als Mittel der Züchtigung beschreibt die Literatur aus der Kindheit der fünfziger und sechziger Jahre Teppichklopfer, Handfeger, Gürtel, Stock … Manches Kind übernimmt die erfahrene Gewalt ins eigene Verhaltensrepertoire, auch und gerade als Erwachsener.
  • Selbstwertprobleme
    Dem Kind wird vermittelt, dass es die Schläge „verdient“ habe, wegen Widerworten, wegen fehlender Hausaufgaben, wegen Ungehorsam … Der Erwachsene rechtfertigt sich vor dem Kind mit einer Schuldzuweisung.
  • Identifikation mit dem Aggressor
    In der Tiefenpsychologie bezeichnet die Identifikation mit dem Aggressor einen Abwehrmechanismus. Das Kind übernimmt die Position des prügelnden Erwachsenen. „Vor allem traumatische Erfahrungen in der Kindheit, bei denen das Maß der erlebten Ohnmacht und Abhängigkeit besonders groß ist – wie in einer repressiven und autoritären Erziehungsstruktur oder einer seelisch manipulativen, durch Liebesentzug geprägten Schwarzen Pädagogik – führen zur Ausbildung dieser Reaktion. Sie dient dem Schutz des eigenen psychischen Systems und hat den Charakter einer ‚letzten Notbremse‘ vor einem drohenden Zusammenbruch des Selbst angesichts überwältigender Attacken und nicht integrierbarer Affekte.“ (Quelle: Wikipedia-Eintrag zu „Identifikation mit dem Aggressor“)
  • Abgrenzungsprobleme
    Gewohnt, für abweichendes Verhalten abgestraft zu werden, traut ein Kind sich nicht, nein zu sagen. Auch als Erwachsener hat es später ein Problem damit, es allen recht machen zu wollen.
  • Unkontrollierbare Aggressivität
    Das geschlagene Kind erlebt Wut und Zorn, doch müssen diese starken Gefühle unterdrückt und oft ins Unbewusste verdrängt werden. Unterdrückte Gefühle verschwinden nämlich nicht. Nicht selten finden sie einen Weg in zerstörerischen Aktionen gegen andere (Kriminalität) oder gegen sich selbst (Autoaggression, Suizid, Drogenmissbrauch).

Dies sind nur einige Folgen. Das Schlimme ist: Sie wirken oft das ganze Leben lang; dadurch ist die Gefahr groß, dass die geschlagenen Kinder als Erwachsene ihre Kinder ebenfalls schlagen. Ein Prozess, der nur schwer zu durchbrechen ist.