Die „Muntermonika“ oder „Schreiben nach Hören“

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Ein Beispiel

Stellen Sie sich vor, es ist der zweite Advent und Sie fordern Ihre sechsjährige Tochter auf, sich doch einmal an einem Wunschzettel für das Christkind zu versuchen. Nach wenigen Tagen ist dieser kleine Text fertig. Sie lesen:

Muntermonika
Babi
Schlitschu

Was ist passiert? Ihre kleine Tochter hat ernsthaft nachgedacht und aufgeschrieben, was sie sich wünscht: Mundharmonika, Barbie-Puppe und Schlittschuhe.  Würden Sie ihr jetzt sagen: Du hast die Wörter falsch geschrieben? Oder würden sie ihr sagen: Das geben wir jetzt an das Christkind weiter und schauen war passiert? Ich wäre für die zweite Variante. Nicht der Prozess des (Recht-)Schreibenlernens steht im Vordergrund, sondern die Vorbereitung auf Weihnachten.

Schauen wir uns eine ähnliche Situation in der Schule an: Die Lehrerin sagt den Kindern, sie sollen ihre Wünsche an das Christkind (den Weihnachtsmann …) aufschreiben. Wie würde sie reagieren, wenn sie die Fehler entdeckt? Würde sie sie  korrigieren, vielleicht sogar zum Thema des Unterrichts machen oder sie ignorieren ? Ich wäre hier für die erste Variante. – Warum? Weil die Schule einen anderen Auftrag hat als Vater oder Mutter. Die Schule nutzt die Anlässe des Alltagslebens, um sie zu reflektieren und die Kinder in einen strukturierten und planmäßigen Lernprozess zu führen. Eltern können das natürlich auch, haben diese Aufgabe aber im Prinzip an die Institution Schule abgegeben.

„Schreiben nach Hören“ heißt eigentlich „Lesen durch Schreiben“

Über die Methode „Lesen durch Schreiben“ wird viel geredet, zumeist hämisch. In der Öffentlichkeit wird sie auch „Schreiben nach Hören“ genannt. Frau Gebauer, die neue Schulministerin Nordrhein-Westfalens hat schon klar gemacht, dass diese Methode ihre Sympathie nicht habe. Auf der Facebook-Seite von Wilhelm Korth, MdL, hat der ihr dazu applaudiert. (Seine Jungfernrede im Landtag befasste sich allerdings mit Neuerungen in der Schweinehaltung.)

Entwickelt wurde die Methode durch Jürgen Reichen bereits vor mehreren Jahrzehnten (70-er bis 90-er Jahre). Die Kinder erhalten eine sogenannte „Anlauttabelle“, mit deren Hilfe sie beim Schreiben oder Lesen die Zuordnung von Laut und Zeichen finden können. Beim A steht ein Affe, bei B eine Banane und beim K das Krokodil. Wenn ein Kind beim Schreiben auf diese Weise herausfindet, welcher Laut in dem zu schreibenden Wort als nächster kommt, findet es den zugehörigen Buchstaben durch Suchen in der Tabelle. Und umgekehrt.

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Diese frühen Anlauttabellen stammen von Johann Amos Comenius – Übertragen aus de.wikipedia nach Commons durch Akkakk., Gemeinfrei

Für Reichen standen sowohl die Selbsttätigkeit und Selbständigkeit als auch das freie, kommunikative Schreiben im Fokus, weniger bis gar nicht die richtige Schreibung. Wer sich die aktuelle Praxis in unseren Schulen anschaut, wird allerdings feststellen, dass es kaum Lehrkräfte gibt, die nicht auch bei dieser Methode zumindest das Wort in der richtigen Schreibung neben den Text des Kindes setzen oder in regelmäßigen Abständen ein Wortfeld passend zum Unterrichtsgegenstand im Rechtschreiben behandeln. Sieht man die Aufgabe des Schreibunterrichts nur oder überwiegend von Anfang an darin, richtig zu schreiben, oder geht es zumindest zu Beginn überwiegend um die Entdeckung, dass man schreibend kommuniziert? Klar ist, dass auf Dauer beides angesagt ist: Der Inhalt muss bedacht werden, aber auch seine richtige Schreibung, damit jeder den Text rasch lesen und verstehen kann.

Gibt es die richtige Methode?

Nein, die richtige Methode gibt es ebensowenig wie die falsche. Das liegt daran, dass die Methode zum Kind einerseits, zum Ziel des konkreten Unterrichts andererseits passen muss. Und beide – Kind wie Ziel – können höchst unterschiedlich sein. Steht der Inhalt des Geschriebenen im Vordergrund, kann man ein Plus bei der Methode „Lesen durch Schreiben“ sehen; geht es vornehmlich um das orthografisch richtige Schreiben kann sie hinderlich sein. Wissenschaftler des Mercator-Instituts der Universität Köln haben festgestellt:

Es gibt keine belastbaren Studien, die definitiv beweisen oder widerlegen, ob eine Methode grundsätzlich geeignet ist oder nicht. Daher ist es falsch, einzelne Methoden zu verbieten – oder vorzuschreiben. Die EINE Methode, bei der alle Schülerinnen und Schüler ohne Probleme Lesen und Schreiben lernen und die alle Lehrkräfte ohne Probleme anwenden können, gibt es nicht.
Wichtig ist vielmehr, dass Schülerinnen und Schüler verstehen, warum eine bestimmte Schreibregel greift. Werden allein Regeln vorgegeben, ohne die zugrundeliegenden Strukturen zu erklären, sind sie für die Lernerinnen und Lerner oft nicht nachvollziehbar. Günstiger ist es, Verfahren an die Hand zu geben, die unmittelbar verständlich sind, also z.B. ein Wort verlängern, um zu bestimmen, ob es am Ende mit D oder T geschrieben wird (HUND mit D, weil es heißt HUNDE, aber BUNT mit T, weil es heißt BUNTE). Entsprechende Verfahren sind auch für die Großschreibung (Kernwort nach links durch ein Adjektiv erweitern), die Doppelkonsonantschreibung (zweisilbige Form suchen) u.a.m. entwickelt worden.

Quelle: Faktencheck Lesen und Schreiben Lernen

Worauf sollten Lehrkräfte im Anfangsunterricht achten?

Und die gleichen Autoren haben hierzu einen kleinen Katalog aufgestellt:

Interesse und Neugier am Lesen und Schreiben wecken und erhalten: Kinder lernen Rechtschreibung mit dem Ziel, fremde Texte zu lesen und eigene Texte zu verfassen, also um zu kommunizieren. Lehrkräfte sollten diese Motivation am Lesen und Schreiben erhalten.

Lerntypen bestimmen: Es gibt unterschiedliche Lerntypen. Lehrkräfte sollten daher ergründen, wie ein Kind lernt – eher analytisch, eher über das Sehen, eher über das Hören usw.

Unterschiedliche Methoden nutzen: Der Unterricht braucht Methodenvielfalt, weil es unterschiedliche Lerntypen gibt.

Die Methode muss zur Lehrkraft passen: Voraussetzung ist, dass die Lehrkraft sich bei der Anwendung der Methode sicher fühlt und diese zum persönlichen Unterrichtsstil passt.

Früher war alles besser?

Nun ja, hier eine kleine Auswahl von Kommentaren aus einem Blog. Gewiss nicht nach aktuellen Methoden unterrichtet.

Text 4
Der Inhalt spricht ohnehin für sich. Und die Rechtschreibung gibt dem Text die angemessene Form.
Text 1
Satzzeichen, Groß- vs. Kleinschreibung, „gewehrt“ statt „gewährt“ …

Wer einen Blick in die Zeitung wirft, kann jeden Tag mehrfach auf Falschschreibungen stoßen: „ss“ statt „ß“ ist beliebt, mit dem Apostroph beim Genitiv wird vielfach Schindluder getrieben, Konditional („würde“) und Konjunktiv („wäre“) werden gerne verwechselt.