Lehrerausbildung im Münsterland – Eine kleine Geschichte des Bezirksseminars Coesfeld

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15 Jahre gab es einen Ausbildungsort in Coesfeld für Lehrerinnen und Lehrer im westlichen Münsterland. Viele Lehrkräfte aus allen Schulformen haben im Bezirksseminar für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen, später Ausbildungsgruppe für die Sekundarstufe I, die zweite – praktische – Ausbildungsphase absolviert.[1]

Leiter des Seminars in Coesfeld war von Anfang (1968) bis Ende (1983) Hans Hampe, vormals Schulleiter der Jakobischule in Coesfeld, sein Stellvertreter von 1968 bis 1974 war Johannes Schulte aus Billerbeck, von 1974 bis 1981 war es Hermann Vortmann aus Gescher und von 1981 bis 1982 Gerd Freude aus Münster.

Als der ehemalige Leiter Hans Hampe pensioniert wurde – 1985 – trafen sich die Fachleiterinnen und Fachleiter[2] des Seminars Coesfeld. Mir fiel zu diesem Anlass die Aufgabe zu, einen Vortrag zur Geschichte dieser Institution zu verfassen und zu halten. Er ist im Folgenden zu lesen:

Geschichte des Bezirksseminars Coesfeld

„Geschichte des Bezirksseminars Coesfeld“ – auf Anhieb fallen mir bei dieser Formulierung einige Schwierigkeiten auf: Diese Institution, die in Coesfeld von 1968 bis 1983 der Lehrer­ausbildung diente, war nicht durchgängig ein „Bezirksseminar“. Sie führte verschiede­ne Namen, sie war in verschiedenen Ge­bäuden untergebracht, die Ausbilder wechselten, die Fachlei­ter, ebenso die Gruppen, aus denen die Fachleiter rekrutiert wurden, die Ausbildungs­schulen und selbstver­ständlich die Lehramtswär­ter.

Allerdings: Eine Klammer war der Ausweis von Kontinui­tät in all dieser Zeit: Rektor Hans Hampe war von Anfang bis Ende Lei­ter dieser Institution(en).

War es zunächst – 1968 – ein Bezirksseminar für das Lehr­amt an der Volks­schule (Grund- und Hauptschule)“, anschließend – 1972 – ein „Bezirks­se­minar für das Lehramt an der Grund­schule und Hauptschule“, so wurde 1978 daraus eine „Ausbil­dungsgruppe: Bezirks­seminar für das Lehramt an der Grund­schule und Hauptschu­le“, parallel lief eine „Ausbil­dungs­gruppe für das Lehramt an der Sekundarstufe I“. Diese Ausbildungsgruppen waren Teile des „Gesamt­seminars für die Ausbildung und Fort­bildung der Lehrer in Münster“, das dann 1984 aufgelöst wurde. Aus den Ausbildungs­gruppen wurden wieder selbstän­dige Seminare, diesmal „Studiense­minare“. Aber diese Entwicklung lief dann schon ohne „Coes­feld“.

Die Gründung des Seminars fiel in eine Zeit des Umbruchs: Nicht nur die Ein­richtung von Grundschulen und Hauptschulen im Feld der ehemaligen Volks­schule war ein wesentli­ches Ereignis der Schulgeschichte Nordrhein-Westfa­lens im Jahre 1968, sondern auch die Aufnahme der Arbeit in einer zweiten Phase der Lehrer­ausbildung. Im Regie­rungsbe­zirk Münster begannen die neuen Be­zirks­seminare für das Lehramt an Volksschu­len ihre Tätigkeit an drei Standorten: In Münster unter der Leitung von Frau Senge, in Gelsenkir­chen mit Herrn Richter und in Coesfeld mit dem jüngsten Seminar­leiter, Herrn Hampe. Mit dem vor­mali­gen Lehrerseminar Coesfeld, das es auch einmal gab – die Seminarstraße deutet heute noch darauf hin -, hatte dieses Seminar nicht viel mehr als den Namen gemeinsam. Das „alte“ Lehrerse­minar war aus der Zeit, in der Lehrer nach der Präparandie ein Seminar besuchten, eine Form der Lehrerbil­dung also, die  spä­ter durch die Pädago­gischen Akade­mien abgelöst wurde.

Bis zu diesem Zeitpunkt – 1968 – wurden übrigens die Lehrer an Volks­schulen zwischen Erster und Zweiter Staats­prüfung nicht aus- sondern fortgebil­det. Der entspre­chende Erlass vom 20. Fe­bruar 1957 war überschrieben mit „Lehrer­fortbildung und Zweite Lehrerprüfung“. Geregelt war hier die Fortbildung von Volks­schullehrern zur Anstellung im Rahmen von Jungleh­rerarbeitsge­mein­schaften. Die Errichtung von Bezirkssemina­ren auf der Grund­lage des Lehrer­ausbildungs­gesetzes von 1965 führte zu einer zweiten Ausbildungsphase auch für Volks­schullehrer an einem Bezirksseminar. Erstmals gab es nun in Nordrhein-Westfalen Lehr­amts­wärter für Volksschulen. Und erstmals gab es für Volks­schul­lehrer eine fachorien­tierte zweite Ausbildungsphase mit Fachlei­tern und Fachse­mi­naren.[3] Coesfeld leistete hier als eines der drei ersten Seminare im Re­gierungsbezirk Münster Pionierarbeit.

Mit dem  2. September 1968 nahm das Seminar seine Arbeit in einem eher beschei­denen Rahmen mit 26 Lehramtsanwärtern auf. Kurze Zeit später war dann auch ein neues Gebäude, ein Fertigbau am Akazienweg, errich­tet. Die „All­gemeine Zeitung“ bemerkte hierzu am 11. November 1968: „‘Großzügig ge­plant, aber dennoch einfach, schlicht und formschön‘, charakteri­sierte Rektor Hampe den Fertigbau der Stadt Coesfeld, der vom Bezirksseminar für das Lehr­amt an der Volksschule gemietet wurde.“ Nicht alle teilten diese Auffassung: Ich erinnere mich noch sehr genau daran, wie Herr Jeßing eine Aus­bildungs­lehrerin, Frau Kesselmann, bat, sich nicht zu heftig an die Wand zu lehnen: „Dies ist ein Fertigbau!“ [Nach der Auflösung des Seminars nutzte die Kreuzschule die Räume für den Unterricht – bis zu einem Brand im Jahre 2016.]

Bezirksseminar Coesfeld
Das Gebäude des ehemaligen Seminargebäudes am Akazienweg 18 (vor dem Brand 2016 aufgenommen, früherer Eingangsbereich in der Mitte des Gebäudes geschlossen)

In einer Feierstunde wurde das neue Gebäude am 9. November 1968 übergeben und eingeweiht. Über diese Feier berichtete die „Allgemeine Zeitung“ vom 11. November 1968 weiter: „’Wir sind uns im klaren darüber‘, defi­nierte der Rektor (Hampe) in seinem beachtenswerten Festvor­trag am Samstag die Aufgaben des Seminars neuester Art, ‚dass die genannte berufspraktische Aus­bildung der Lehramtsanwär­ter mehr sein muss als eine Zurich­tung auf spezielle Funktio­nen.‘ Seiner Meinung nach liegt die Gefahr, den Unter­richt als bloße handwerkliche Kunst zu sehen, nahe. Hampe: ‚Die Gefahr der Ausrichtung zu einem Bildungsschuster wäre damit gegeben!‘ Gemeinsame Aufgabe von Leh­renden und Lernenden bleibe jedoch, hier in Coesfeld nicht nur schulpraktische Erfahrungen zu gewinnen, sondern sie auch geistig zu verar­beiten und kri­tisch zu kontrollieren.“ Diese Sicht­weise war sicherlich Pro­gramm.

Zum Fachleiterteam der ersten Stunde gehörten Lehre­rinnen und Lehrer wie Frau van Dyk, Herr Wellenbrock, Herr Rahn, Herr Netta, Herr Noster, Herr Austerschulte, Herr Jeßing … Als Stellver­treter des Seminarleiters trat Jo­hannes Schulte sein Amt an. Herr Ahlers wurde erster Sekretär. Sprecher des ersten Kur­ses der Lehramtsanwärter war übrigens Norbert Heiny, später Fachlei­ter für das Fach Katholische Religionslehre in Reckling­hausen, Gronau und Coesfeld.

Nach dem ersten Ausbildungsjahr lag der Ausbildungsbe­ginn regelmäßig am 1. Dezember jeden Jahres. Am 1. Dezember 1969 trat also der zweite Kurs seinen Dienst an.

Damit gab es schon bald eine erhebliche Steigerung der Anzahl der Lehr­amtsan­wärter. Nicht nur die Ausbildungs­schu­len bekamen dies zu spüren – an der Hauptschule in Gescher hatten wir zu der Zeit neun Lehramts­anwärter zu betreuen -, sondern auch die Zahl der Fachsemi­nare und Fachleiter stieg erheb­lich an. Manche Fächer waren jetzt doppelt vertreten, z. B. Deutsch und Ma­thematik. Ein Fachseminar für Englisch wurde neu einge­richtet.[4]

Auch Konflikte blieben in dieser ersten Zeit nicht aus: Ein Bericht aus der Mün­sterschen Zeitung von Januar 1971 ist inter­essant: Ein Lehramtsanwärter des Seminars in Coesfeld namens Jürgen Mölle­mann hatte an den Kultusmini­ster des Landes Nord­rhein-Westfalen geschrieben. Darin setzte er sich mit der „der­zei­tigen Konzeption und Praxis des Vorbe­rei­tungsdienstes für Lehrer an Grund- und Hauptschulen“ auseinander. „Möllemann kommt zu dem Schluss“, so heißt es in diesem Bericht, „dass nach zwei­jähriger Erprobung über das ‚Referendarjahr‘ folgendes gesagt werden könne: Es leiste nur in ungenügendem Maße die Integration von Theorie und Praxis, die ihm zugedacht sei. Ebenso sei eine qualifizierte fachliche Ausbildung in vielen Fällen nicht ge­währleistet. Es schaffe und begünstige Abhängigkeitsverhältnis­se, die kritisches Denken anpas­sen und Veränderungs­bestrebungen weitgehend ausschalteten. In dieser Hin­sicht widerspreche es demokratischen Grundsätzen.“ Diese Vorwürfe führten dazu, dass einige recht hochgestellte Persönlichkeiten der Schul­aufsicht nach Coesfeld kamen und sich den Fragen der Lehramtsanwärter stellten.

In dieser Situation legte Hans Hampe eine Nachtschicht ein: Er hatte im Rahmen einer Fragebogenaktion seminarintern die Lehramtsanwärter des Semi­nars Coesfeld nach ihren Erfahrungen mit der Seminarausbildung befragt, hatte Seminar­leiter und Fach­leiter, Hauptseminar und Fachsemi­nare, Ausbildungsschu­len und Ausbil­dungslehrer von den Lehramtsanwärtern  – natür­lich anonym – beurtei­len lassen. Für die beschriebene Veran­staltung wertete er diese Bögen aus und hatte nun gute Argu­mente in der Hand: Von der weitaus größten Zahl der Lehr­amtsanwärter wurde der Vorbe­reitungsdienst zumindest in Coesfeld deutlich besser einge­schätzt als die lautstarke Kritik vermuten ließ. Der Autor des Briefes an den Kultusmi­nister erklärte denn auch, dass er die Ausbildung in Coesfeld konkret nicht gemeint habe.

Diese Erfahrung war die Geburtsstunde einer Lang­zeit­erhe­bung: Von jetzt an wurde am Ende eines jeden Kurses der Bogen den Lehramtsanwärtern vorge­legt. Die Ergebnisse hatten nicht nur apologetischen Charakter, sondern dienten auch der immer wieder geforderten Verbesserung der Arbeit. Später wurde die­ser Frage­bogen, der ebenfalls Elemente aus der Ersten Phase der Ausbil­dung bewerten ließ, in leicht veränderter Form auch anderen Seminaren zur Verfü­gung gestellt. In den Jahren 1974 und 1982 wurden die Ergebnisse der Befra­gungen von Hans Hampe und mir veröffentlicht. Wir fühlten uns nämlich zu Un­recht angegriffen durch die zahlreichen Veröffentlichungen, die von der „Theorie­entfrem­dung“ der Seminarleiter (Sauer), vom „Anpassungsdruck durch die Seminarausbilder“ (Müller-Fohrbrodt, Cloetta und Dann) sprachen, oder wie Heckhausen formulierte: Die Einführung des Referendariats für Grund- und Hauptschullehrer „war sachlich eine Bankrotterklärung der Lehrerausbildungsin­sti­tution, bil­dungspolitisch ein kostspieliger Schildbürger­streich.“  – Die Ergeb­nisse unserer Untersuchungen lassen diesen Schluss nicht zu.

Zu dieser Zeit – es herrschte Lehrermangel – wurden die Gehälter von Leh­rern neu festgesetzt. Die Seminarleiter warteten vergebens darauf, dass die Zu­sage, in der Besoldung den Schulrä­ten gleichgestellt zu werden, eingelöst wurde; die Fachleiter aus dem Volksschul­bereich hingegen wurden allesamt zu Konrekto­ren ernannt; Besoldungsgruppe A 12a.

Die Anzahl der Lehramtsanwärter im Seminar Coesfeld lag nun in Grö­ßenordnungen von 70 bis 100. Die Anzahl der Fach­leiter war entsprechend ge­stiegen. Bereits in den ersten Jahren stellte sich heraus, dass die Fluktuation der Fachlei­ter insgesamt recht hoch war. Im Jahre 1971 beispielsweise gab es 14 Fachseminare mit 13 Fachleitern. Von diesen waren Ende 1973 sieben von ih­ren Aufgaben entbunden worden, also über 50 Prozent. Allein 1973 wurden acht Fachleiter neu ernannt, darunter – eine Seltenheit – ein Fachleiter für Me­dien, Theo Königshofen. Selbstverständlich war eine solch tiefgreifende Verände­rung nicht der Sache dien­lich, sie war jedoch verständlich. Manche Fachleiter fühlten sich weder in der Schule noch im Seminar ganz zu Hause. Ihre Fachlei­ter­funk­tion nutzten sie häufig als ersten Schritt in eine Karriere. Die Besol­dungsgruppe des Fachleiters war die am nied­rigsten bewertete Beförderungsstel­le, so dass von den höher be­werteten Konrektor- und Rektorstel­len an Schulen eine größere Sogwirkung ausging. (Unter uns sehen wir heute denn auch eine Reihe von Schullei­tern und stellvertretenden Schullei­tern.)

Einer der Wechsel in der Fachleitermannschaft in Coesfeld Ende 1973 ist darauf zurückzuführen, dass in Nordrhein-Westfalen die Figur des hauptamtli­chen, des pädagogischen Fachleiters als Mitarbei­ter der Seminar­leitung geschaf­fen wurde. Spitze Zungen behaupteten damals, die Teams der Seminarleitun­gen, die bis dahin aus „Leitern“ und „Halbleitern“ bestanden, seien nun um „Nichtleiter“ ergänzt. In Coesfeld übernahm diese Aufgabe Bar­bara van Dyk, bei deren Ernennung der Regierungspräsident einer Anregung der Fachleiterkonfe­renz folgte. Als Anfang 1974 der bishe­rige stellvertretende Seminarleiter Johannes Schulte als Rektor nach Nottuln ging, wurde sein Nachfol­ger eben­falls ein Fachlei­ter des Seminars. Ich trat dieses Amt am 18. Februar 1974 an, wenige Tage, bevor Hans Hampe zur Kur fuhr.

Anfang 1974 fuhren die Fachleiter des Seminars zu einer Fortbildungsta­gung nach Brochterbeck. Sie begründeten damit eine Tradition, die bis zum En­de des Seminars bestehen bleiben soll­te. Regelmäßig fuhren Seminarleitung und Fachleiter nach Broch­terbeck in den Teutoburger Wald oder in das Sauerland nach Böde­feld (1975) oder nach Holthausen (1977), ebenfalls im Teutobur­ger Wald, um dort in Ruhe Fachseminar- und Hauptseminararbeit aufeinander abzu­stimmen, pädagogische Themen miteinander zu behandeln und sich besser ken­nenzulernen; denn das war eines der größten Probleme: Fachleiter arbeiteten nur in Konferen­zen und bei Prüfungen zusammen. Das informelle, kollegiale Ge­spräch kam im regulären Ablauf der Tätigkeit des Fachlei­ters zu kurz. Die­ses Defizit aufzufangen, dienten die erwähnten Fortbil­dungsver­anstaltungen ebenso wie die regelmäßigen, zum Teil fast monat­lich stattfindenden Fachleiter­konfe­renzen.

Manche Stunde in den Fachleiterkonferenzen und bei Fort­bildungsveran­staltungen, so vom 14. bis 17. Oktober 1975 in Bödefeld, wurde in der Folge­zeit mit Diskussionen über die Neu­ord­nung der Besoldungsregelungen verbracht, sollten doch die Fachleiter an Bezirksseminaren für das Lehramt an Grundschu­len und Hauptschulen ab 1975 nur noch nach A 12 mit einer Zulage besoldet werden. Es blieb nicht nur bei Diskussionen: Landtags­abgeordnete, Vorgesetzte, Berufsver­bände wurden angesprochen und angeschrieben. In Nordrhein-Westfa­len entstand die Duisburger Initiative der Fachleiter, als deren Coesfelder Vertre­ter Franz Hadick gewählt wurde; alle Aktivitäten halfen nichts: zwar durf­ten die schon zu Konrektoren Ernannten diese Amtsbe­zeichnung weiterhin führen, alle weiteren Beförderungen aber unter­blieben. Diese Statusabwertung war sicher­lich mit ein weiterer Grund, weshalb Fachleiter in der Regel nicht für längere Zeit Fachlei­ter blieben.

Nach dem Start der Seminararbeit waren die Schulen des damaligen Krei­ses Coesfeld – vor der kommunalen Neugliede­rung – Ausbildungsschulen des Seminars. 1975 änderte der Regierungs­präsident diese Zuordnung. Mittlerweile war die Zahl der Semina­re im Regierungsbezirk auf dem höchsten Stand. Mit dem Seminar in Dorsten war das letzte der Bezirks­seminare für das Lehramt an Grund- und Haupt­schulen gegründet worden. Bei der Neueinteilung der Semi­narbezirke müssten nun alle Seminare angemessen versorgt werden. Coesfeld erhielt die Schulen in Havixbeck, Nottuln, Schöp­pingen, Legden und Asbeck da­zu, Dülmen wurde an das Seminar in Lüdinghausen abgetreten. Nur wenige Jahre später erfolgte eine weitere Änderung: Mit der Aufnahme der Arbeit der Ausbil­dungsgruppe für die Sekundarstufe I wurden die Ausbildungsschu­len fle­xibler zugeordnet. Coesfelder Fachlei­ter und Seminarlei­ter schwärmten bis nach Bocholt, bis nach Lüdinghausen, bis Ahaus, Dülmen und Münster aus.

Schon Mitte der siebziger Jahre zeichnete sich ab, dass die Zeit der „Kommste zu uns?“-Broschüren vorbei war. Vorbei auch die Zeit, in der am Schwarzen Brett die Kreise und kreisfreien Städte in drei Klassen eingeteilt wa­ren: In solche mit über­durchschnitt­lichem, durchschnittlichem und unterdurch­schnitt­lichem Lehrermangel. Die Warnungen, den Beruf des Lehrers zu ergreifen, nahmen an Lautstärke zu. So wurden denn 1976 erstmals die Lehramtswärter nach Ausbil­dungsende nicht sofort mit voller Stundenzahl übernommen, 1977 folgte gar erstmalig eine Vakanz zwischen Ausbildung und Einstel­lung. Auf den Dezemberbeginn 1975 folgte 1977 ein Septemberbeginn, 1976 wurde keine Lehramtsanwärter aufgenommen.  Dieser Kursus war der letzte Durchgang, der ausschließlich mit Lehramtsanwärtern für Grundschulen und Hauptschulen besetzt war. Es war auch das letzte Jahr, in dem wir mit Unterstützung von Barbara van Dyk arbeiteten. Nachdem die Stel­len der haupt­amtlichen Fachleiter an den Bezirkssemina­ren für Grund- und Hauptschu­len per Erlass gestrichen worden waren, hatte sie die Leitung der Grundschule in Darup übernommen. Später – in der Ausbildungsgruppe für das Lehramt für die Sekundarstufe I – wurde die Position eines hauptamtlichen Fachleiters noch einmal besetzt, dies­mal mit einer Fachleiterin für Kunst, Frau Herwald.

1976 gab es Bestrebungen, in Coesfeld ein weiteres Seminar einzurich­ten, ein Studienseminar für das Lehramt am Gymnasi­um. Hier erhielt aber letzt­lich nicht Coesfeld, sondern Bocholt den Zuschlag. Lehrerausbildung auch an Gymnasien kam auf einem ande­ren Weg nach Coesfeld.

Inzwischen  – 1974 –  war ein neues Lehrerausbildungs­gesetz verabschie­det worden. Es sah die Ausbildung von Stu­fenlehrern vor. Die Gründung von fünf Gesamtseminaren, je Regierungsbezirk eins, folgte. Ab September 1978 waren in Coesfeld zwei Ausbil­dungsgruppen des Gesamtseminars mit zwei Fachleiterkonferenzen, mit zwei Seminarkonferenzen, mit zwei Seminarbezirks­konferenzen, aber unter einer Leitung, einge­richtet. Erstmalig rückten aus den Schulformen Real­schule und Gymnasium Fachleiter (Herr Wäch­ter, Herr Schulze Südhoff, Herr Burmester) in das Ausbilderteam in Coesfeld ein. Die Ausbildung für die Lehramtsanwärter der Sekundar­stufe I dauerte zu diesem Zeitpunkt 18 Monate.

Für viele Fachleiter aus dem Grund-/Hauptschulbereich ende­te (zumindest vorläufig) ihre Tätigkeit jetzt oder im folgenden Jahr. Um eine vorgegebene Quotierung zu erreichen, wurden Fach­leiter aus diesem Bereich „entpflichtet“, wie es so schön hieß – der Umstand, dass das Amt des Fachleiters kein Beförde­rungsamt mehr war, erwies sich bei dieser Aktion zumindest nicht als hinderlich – und aus dem Bereich der Realschule und des Gymna­siums wurden Fachleiter neu ernannt. Manche der entpflichteten Fachleiter übernahmen Fortbil­dungsauf­gaben, manche kehrten der Arbeit des Seminars für längere Zeit oder gar für immer den Rücken.

Auf das Seminar kamen zu dieser Zeit etliche Schwie­rigkei­ten zu:

–       Verschiedene Traditionen der Lehrerausbildung in den verschiede­nen Schulformen sorgten für Kommunikations­proble­me. Gleiche Formulierungen in den Ausbildungs- und Prüfungs­ordnungen waren unterschiedlich ausgelegt worden. Beispiel „Unterrichts­versuche“ und „Gruppenhospitationen“.

–       Lehramts­anwärter wurden „hal­biert“: Mit einem Fach waren sie an das Seminar in Borken, mit dem anderen an das Coes­felder Seminar ange­bun­den. So mussten an keinem Standort kleine Seminare kostenintensiv geführt werden.

–       Eine stufenorientierte Didaktik war nicht zu erken­nen. Die Fachlei­ter hatten ihre schulformspe­zifische Didaktik, ihre schulformspezifischen Erfah­rungen. In Bezug auf die jeweils fremden Schulformen war jeder Fachleiter ein Lernender. Die Formulierung von Wolfgang Schulz von den „vornehmlich Lernenden und den vornehmlich Lehrenden“ war nie treffender. Ein Zitat in diesem Zusammen­hang: „Die ärgerliche Tatsache, dass Fachleiter der un­terschiedlichen Lehrämter bei annähernd oder jetzt im Lehramt Sek. I sogar identischen Aufgaben hinsicht­lich der Arbeitszeit und Besoldung unterschiedlich behandelt werden, muss be­seitigt werden.“ Wenn Sie jetzt hätten raten müssen, wer der Autor ist: Wären Sie auf den Kultusminister gekommen? Er schrieb es in einem Brief am 10. No­vember 1977.

–       Zeitweilig waren drei Kurse mit unterschied­lichen rechtlichen Vor­gaben zu versorgen: Im Herbst 1979 wurden die Lehramtsanwärter für Grund- und Hauptschulen nach zwölfmonatigem Vorbereitungsdienst geprüft. Gleich­zeitig waren Lehramtsanwär­ter für die Sekundarstufe I bereits seit einem Jahr bei uns und ein weiterer Kursus mit Lehramtsan­wärtern für die Sekundarstufe I wurde gerade vereidigt.

Dennoch: Mit gutem Willen, mit dem festen Vorsatz miteinan­der zu arbei­ten, wurden diese Schwierigkeiten weitgehend ausge­räumt.

Ähnlich wie der Fachleiterkreis tagten auch die Haupt­semi­nare mit den Lehramtsanwärtern mehr oder weniger regelmä­ßig in mehrtägiger Klausur: Im Josef-Gockeln-Haus in Rahrbach in der Nähe von Olpe, in der Jugendherberge in Lembeck, in der Kolping-Bildungsstätte in Coesfeld, ja auch in Soltau in der Lüneburger Heide tagten wir. Für eine Seminarleitung, die in dem unlösbaren Konflikt arbeiten musste, einerseits Berater, andererseits Beur­teilender zu sein, waren diese Möglichkeiten der zwanglosen Kommunikation äußerst wichtig.

1981 bezog das Seminar ein anderes Gebäude, die ehemalige Amtsver­waltung Coesfeld Kirchspiel. Die Stadt Coesfeld wünschte diesen Umzug, um der benach­barten Kreuz-Hauptschule das bisherige Seminargebäude zur Verfü­gung zu stellen. Die Räume wurden reno­viert, wir zogen ein, wir richteten uns ein und fühlten uns mit einiger Mühe wohl.

Zu diesem Zeitpunkt war der Vorbereitungsdienst auf zwei Jahre verlän­gert worden. Wir waren mittlerweile daran gewöhnt, mit zwei unterschiedlichen Kursen zeitlich parallel zu arbeiten. Der Kurs, der im Juni 1981 mit uns in das „neue“ Gebäude einzog, war der letzte, der in Coesfeld ausgebildet werden sollte. Das wussten wir aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

1981 fand in der Leitung des Seminars wieder ein Wechsel statt: Gerd Freude, der bis zu diesem Zeitpunkt am Seminar in Münster tätig gewesen war, wurde mein Nachfolger, als ich die Leitung einer Hauptschule übernahm.

Nun ging alles sehr schnell: 1982 gab es deutliche Anzei­chen dafür, dass das Coesfelder Seminar geschlossen werden solle. Mit Schreiben vom 8. Juni 1982 reagierte die Stadt Coesfeld darauf. Bürgermeister und Stadtdirektor setz­ten sich massiv beim Kultusminister für den Erhalt ihres Seminars ein; wie wir alle wissen vergebens. Mit einem Brief an die Leiterin­nen und Leiter der Ausbildungs­schulen verabschiedeten sich Hans Hampe und Gerd Freude von den Kolleginnen und Kollegen, die mit ihnen zusammen gearbeitet hatten. In diesem Brief vom 22. Juni 1983 hieß es: „Innerhalb von 15 Jahren wurden im Seminar Coes­feld und den zugeordneten Ausbildungsschulen mehr als 1000 Lehr­amts­anwärter für das Lehramt an der Grund- und Hauptschule und für das Lehramt an der Sekundarstufe I ausgebildet.“

Während die Spediteure in den letzten Junitagen die Möbel abtranspor­tierten, wurde geklärt, welche Aufgabe die Seminarlei­ter in Zukunft zu erfüllen hatten; Hans Hampe wurde mit Ausbil­dungsaufgaben im Seminar Borken, nach dessen Auflösung im Semi­nar Münster beauftragt. Gerd Freude ging in eine Schule. Erika Peter, die Sekretärin, kam im Gewerbeaufsichtsamt in Coesfeld unter.

Es bleibt noch ein Wort zu sagen über den Leiter dieser Institution, Hans Hampe, der seit wenigen Wochen Ruheständ­ler ist. Herr Hampe hat sich in die­sen Jahren seiner Semi­nar­leiter­tätigkeit einen guten Namen gemacht. Seine Meinung im Kreis der Seminarleiterkol­legen war gefragt, sein Rat bei Lehramts­anwär­tern und Fachleitern. Für den engeren Kreis seiner Mitarbeiter darf ich sa­gen: Die Zusammenarbeit mit ihm war wohltu­end. Beson­ders – in seiner Diktion – im „menschlich-partner­schaftlichen“ Bereich. Seine engagierte Verbandsar­beit – ebenso wie einige Ver­öffentlichungen – trug dazu bei, seine reflektierten Erfah­rungen aus der Seminarar­beit anderen mitzuteilen. Den Bürokratismus und den Zentra­lismus möglichst klein zu halten, war ihm dabei ein beson­deres Anliegen. In seiner Arbeit habe ich ihn immer wieder erfahren als jemanden, der eine un­gekünstelte Gelassenheit, ja Souveräni­tät, im Umgang mit Mitarbeitern und Lehr­amtsan­wär­tern zeigte. So ein wenig „pater familias“ war immer dabei.

Hans_Hampe_a
Hans Hampe als leidenschaftlicher Organist. Er hat auch Klavier gespielt und komponiert.
Anmerkungen

[1] Der wohl prominenteste Lehramtsanwärter war in einem der ersten Ausbildungsjahre, nämlich 1969/1970, der spätere Bildungsminister, Wirtschaftsminister und Vizekanzler Jürgen W. Möllemann.

[2] Fachleiter waren besonders qualifizierte Lehrkräfte, die ein Fachseminar leiteten (z. B. für Geschichte, Sport, Mathematik), in dem sie den Lehramtsanwärtern praxisrelevante Inhalte vermittelten. Außerdem besuchten, berieten und bewerteten sie den Unterricht der künftigen Lehrer. In der Zweiten Staatsprüfung gehörten sie dem Prüfungsausschuss des jeweiligen Lehramtsanwärters an.

[3] vgl. Vortmann, Hermann: Fachnähe in der Mathematiklehrerausbildung für Grundschulen und Hauptschulen in Nordrhein-Westfalen von 1972 bis 1977. Münster 1980 (Dissertation)

[4] Fachleiter für Englisch wurde der damalige Lehrer der Gemeinschaftshauptschule Gescher, später Rektor der Katholischen Grundschule Hochmoor, Günter Hillebrand.