„Guter Unterricht“ – ein Vortrag, der vor zehn Jahren gehalten wurde

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Beitragsbild: Schloss Iburg, Sitz der Niedersächsischen Schulinspektion. Von smial – Eigenes Werk, FAL, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3521349

Im Jahre 2007 wurde ich angefragt, in einer kooperativen Gesamtschule in der Nähe von Hannover einen Vortrag zu halten. Anlass war, dass die Schulinspektion, also der „Schul-TÜV“, der Schule zwar einen guten Stand zurückgemeldet, aber in dem Teilbereich „Unterstützung eines aktiven Lernprozesses“ Nachholbedarf bescheinigt hatte. Die Folge war eine Fortbildung zu diesem Thema, deren Durchführung die Schule einer Unternehmensberatung übertragen hatte, die wiederum bei mir vorstellig wurde, ob ich den einführenden Vortrag halten wolle. Ich stimmte zu und stelle den Text hier gerne vor. Fachleute mögen bedenken, dass ich natürlich den Stand von 2007 zugrundelegte; manches ist sicher auch heute noch gültig.

Hier nun also der Text:

19.11.2007

Was ist guter Unterricht?

Sehr geehrte Frau N., sehr geehrte Damen und Herren,

ich wünsche Ihnen zunächst einen guten Morgen. Ich freue mich, dass Sie mich eingeladen haben und bedanke mich dafür.

Ich bin gebeten worden, Ihnen mit Blick auf das Ergebnis Ihrer Schulinspektion einiges zum „guten“ Unterricht zu sagen. Ihre Schulleitung hat mir dafür die Kurzfassung des Qualitätsprofils zur Verfügung gestellt. Dem entnehme ich, dass Ihre Schule im Bereich der Schulkultur, also „Schulklima und Schulleben“, „Eltern- und Schülerbeteiligung“ sowie „Kooperation mit anderen Schulen und externen Partnern“ besonders gut aufgestellt ist. In allen anderen Feldern lautet die Bewertung „eher stark als schwach“ und nur in einem Teilbereich des Lehrerhandelns im Unterricht, nämlich „Unterstützung eines aktiven Lernprozesses“ ist Ihre Arbeit als „eher schwach als stark“ eingeordnet worden. Dies ist umso erstaunlicher, als die Schülerbeteiligung Ihnen offenbar wichtig ist. Liest man die Begründung für die eher schwache Bewertung, wird jedoch auch schon deutlich, dass etliche Elemente festgestellt wurden, die gute und richtige Ansätze bilden, jedoch nicht im ausreichenden Umfang vorkommen.

Zunächst möchte ich mich Ihnen vorstellen, damit Sie einschätzen können, vor welchem Erfahrungshintergrund ich zu Ihnen spreche.

1.   Kurze Einführung

Ich werde im Laufe meines Vortrages zunächst etwas über „guten“ Unterricht sagen. Danach komme ich ganz kurz auf den „erziehenden“ Unterricht zu sprechen, anschließend gehe ich dann auf „selbstreguliertes Lernen“ ein.

Also:

2.   Guter Unterricht – Ziele

Um es gleich vorweg zu sagen: Guter Unterricht wird nicht durch PISA oder TIMSS und deren Ergebnisse definiert, sondern zunächst einmal von Pädagogen, wobei für die auch gewisse Vorgaben gelten. Denn guter Unterricht ist – wenn auch nicht ausschließlich – nach den Ergebnissen des Unterrichts zu bestimmen. Unterricht, dem es gelingt, dass die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler bei Vergleichsarbeiten, bei zentralen Prüfungen etc. gut abschneiden, könnte man als guten Unterricht bezeichnen. Also: Wenn die Ergebnisse gut sind, dann ist der Unterricht gut! – Aber stimmt das schon? Nein, seit den Veröffentlichungen der Berliner Schule in den sechziger Jahren wissen wir, dass es eine Interdependenz gibt unter anderem zwischen den Zielen und den Methoden des Unterrichts. Wir müssen also auch auf Methoden, Medien und weitere Entscheidungsfelder blicken, wenn wir bestimmen oder wissen wollen, was guter Unterricht ist. Um es vorweg zu sagen: Guter Unterricht muss auch den Schülerinnen und Schülern in den Wegen gerecht werden, die zu den Ergebnissen führen. Hier werden neben genuin pädagogischen auch anthropologische und ethische Fragen eine Rolle spielen.

In den letzten Jahren – seit 2002 – sind die für gut gehaltenen Ergebnisse übrigens neu beschrieben worden, bundesweit durch die nationalen Bildungsstandards und in den Ländern durch Kernlehrpläne, die auf den Bildungsstandards aufbauen. Erstmals beschränkt man sich dabei auf die Beschreibung der erwarteten Ergebnisse von Schule und Unterricht, spricht daher hier von der „Output-Orientierung“, im Gegensatz zur „Input-Orientierung“ der bisherigen Curricula. Dies festzuhalten ist wichtig. Wir werden später darauf zurückkommen.

Kriterien sind erforderlich, um zu bestimmen, was guter Unterricht ist. Woher nehmen wir verbindliche Kriterien? Ganz sicher wechseln diese Kriterien der jeweiligen Zeit und ihren Auffassungen gemäß. Guter Unterricht war zur Zeit Kaiser Wilhelms II. etwas anderes als in der Schule Margot Honeckers und wieder anderes in den fünfziger Jahren der Bundesrepublik.

Da die Schule eine Institution ist, die von der Gesellschaft eingerichtet und unterhalten wird, ist sie an die Aufträge gebunden, die diese Gesellschaft ihr erteilt. Diese Aufträge werden durch Verfassung, Gesetze, Verordnungen und Erlasse beschrieben. Schauen wir doch zuerst einmal dort nach. Zunächst blicken wir also ins Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Darin steht in Artikel 7 zwar etwas über das Schulwesen. Aber einen Anhaltspunkt, welcher Unterricht für gehalten wird, finden wir darin nicht.

2.1 Grundgesetz

Artikel 7

(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.

(3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.

(4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.

(5) Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.

(6) Vorschulen bleiben aufgehoben.

Ähnlich geht es uns mit der Landesverfassung Niedersachsens:

2.2 Landesverfassung Niedersachsens

Artikel 4

Recht auf Bildung, Schulwesen

(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung.
(2) Es besteht allgemeine Schulpflicht. Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Landes.
(3) Das Recht zur Errichtung von Schulen in freier Trägerschaft wird gewährleistet. Sie haben Anspruch auf staatliche Förderung, wenn sie nach Artikel 7 Abs. 4 und 5 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland genehmigt sind und die Voraussetzungen für die Genehmigung auf Dauer erfüllen.
(4) Das Nähere regelt ein Gesetz.

Fündig werden wir dann im niedersächsischen Schulgesetz:

2.3 Niedersächsisches Schulgesetz

2  Bildungsauftrag der Schule

1) Die Schule soll im Anschluss an die vorschulische Erziehung die Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler auf der Grundlage des Christentums, des europäischen Humanismus und der Ideen der liberalen, demokratischen und sozialen Freiheitsbewegungen weiterentwickeln. Erziehung und Unterricht müssen dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und der Niedersächsischen Verfassung entsprechen; die Schule hat die Wertvorstellungen zu vermitteln, die diesen Verfassungen zugrunde liegen.
Die Schülerinnen und Schüler sollen fähig werden,

  • die Grundrechte für sich und jeden anderen wirksam werden zu lassen, die sich daraus ergebende staatsbürgerliche Verantwortung zu verstehen und zur demokratischen Gestaltung der Gesellschaft beizutragen,
  • nach ethischen Grundsätzen zu handeln sowie religiöse und kulturelle Werte zu erkennen und zu achten,
  • ihre Beziehungen zu anderen Menschen nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit, der Solidarität und der Toleranz sowie der Gleichberechtigung der Geschlechter zu gestalten,
  • den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere die Idee einer gemeinsamen Zukunft der europäischen Völker, zu erfassen und zu unterstützen und mit Menschen anderer Nationen und Kulturkreise zusammenzuleben,
  • ökonomische und ökologische Zusammenhänge zu erfassen,
  • für die Erhaltung der Umwelt Verantwortung zu tragen und gesundheitsbewusst zu leben,
  • Konflikte vernunftgemäß zu lösen, aber auch Konflikte zu ertragen,
  • sich umfassend zu informieren und die Informationen kritisch zu nutzen,
  • ihre Wahrnehmungs- und Empfindungsmöglichkeiten sowie ihre Ausdrucksmöglichkeiten unter Einschluss der bedeutsamen jeweiligen regionalen Ausformung des Niederdeutschen oder des Friesischen zu entfalten,
  • sich im Berufsleben zu behaupten und das soziale Leben verantwortlich mitzugestalten.

Die Schule hat den Schülerinnen und Schülern die dafür erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln. Dabei sind die Bereitschaft und Fähigkeit zu fördern, für sich allein wie auch gemeinsam mit anderen zu lernen und Leistungen zu erzielen. Die Schülerinnen und Schüler sollen zunehmend selbständiger werden und lernen, ihre Fähigkeiten auch nach Beendigung der Schulzeit weiterzuentwickeln.

(2) Die Schule soll Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern den Erfahrungsraum und die Gestaltungsfreiheit bieten, die zur Erfüllung des Bildungsauftrags erforderlich sind.

3  Freiheit des Bekenntnisses und der Weltanschauung

(1) Die öffentlichen Schulen sind grundsätzlich Schulen für Schülerinnen und Schüler aller Bekenntnisse und Weltanschauungen.

(2) In den öffentlichen Schulen werden die Schülerinnen und Schüler ohne Unterschied des Bekenntnisses und der Weltanschauung gemeinsam erzogen und unterrichtet. In Erziehung und Unterricht ist die Freiheit zum Bekennen religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zu achten und auf die Empfindungen Andersdenkender Rücksicht zu nehmen.

(3) Die abweichenden Vorschriften des Zehnten Teils bleiben unberührt.

4  Integration

Schülerinnen und Schüler, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen (§ 14 Abs. 1 Satz 1), sollen an allen Schulen gemeinsam mit anderen Schülerinnen und Schülern erzogen und unterrichtet werden, wenn auf diese Weise dem individuellen Förderbedarf der Schülerinnen und Schüler entsprochen werden kann und soweit es die organisatorischen, personellen und sächlichen Gegebenheiten erlauben.

Damit gibt es inhaltliche Vorgaben, also in Klafkis Terminologie Vorgaben zur Auswahl der Bildungsinhalte – teils im Sinne von Klafkis Schlüsselproblemen wie Völkerverständigung, Umwelt etc. Wir finden aber auch schon einige Hinweise, wie Unterricht stattzufinden hat. Zum Beispiel wird vom Erfahrungsraum der Schule gesprochen, von der Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten (was uns schon an den Kompetenzbegriff denken lässt), vom gemeinsamen Unterricht der Schülerinnen und Schüler jedweden Bekenntnisses. Auch der Vorrang gemeinsamen Unterrichts von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf vor der Beschulung in einer Sonder- oder Förderschule ist hier zu nennen.

2.4 Qualitätsrahmen

Der Qualitätsrahmen, die Kriterien, die dem Inspektionsbericht für Ihre Schule zugrunde liegen, ist von nachgeordneter rechtlicher Relevanz, entfaltet faktisch aber die größere Wirkung, weil er konkret ist und im Rahmen der Schulinspektion angewandt wird. Ähnliche Kataloge haben auch andere Bundesländer entwickelt. Hier scheint es nach einem ersten Überblick einen hohen Grad an Übereinstimmung zu geben.

3.   Erziehender Unterricht

Unterricht hat, das sahen wir in den Formulierungen des Schulgesetzes, auch eine erzieherische Dimension. Pädagogen sehen das seit einigen Jahrhunderten genauso. Ich werde diesen Aspekt nur kurz streifen, weil er höchstens am Rande meines Auftrages steht. Ich möchte ihn erwähnen, damit er nicht völlig außerhalb der Fragestellung nach gutem Unterricht bleibt.

Der Bildungsauftrag der Schule ist also auch und in weiten Teilen durch einen Erziehungsauftrag definiert: Toleranz, Werte, Solidarität und weitere Indikatoren dafür haben wir gerade in den Formulierungen des Schulgesetzes vernommen. Guter Unterricht ist also jedenfalls auch Erziehender Unterricht.

Der Erziehende Unterricht hat als didaktischer Fachbegriff eine lange Tradition. Keine Sorge: Ich werde Sie jetzt nicht mit Herbart behelligen, aber schon darauf aufmerksam machen, dass in der aktuellen Diskussion zwei Aspekte eine Rolle spielen: Die Frage nach den Inhalten des Unterrichts und die nach den Methoden.

3.1 Inhaltsaspekte

Der Inhalt des Unterrichts fordert zum Werten auf. Aufgabe der Schule ist es auch, den Inhalt auf seinen Sinn, seine Bedeutung für das eigene Leben zu befragen. Sportunterricht kann nicht umhin, den Begriff und den Stellenwert der Leistung, die Vor- und Nachteile von Leistungssport zu bewerten. Das Verhältnis zum eigenen Körper, ihn durch Sport gesund zu erhalten, ist eine Frage der Wertung. Biologieunterricht wird nicht nur beim Thema „Stammzellen“ ethische Fragen mit diskutieren müssen. Literarische Texte fordern zur Stellungnahme auf. Im Fach Geschichte finden sich Anlässe zum Bewerten zuhauf, in Politik und Religion sowieso.

3.2 Methodische Aspekte

Erziehung ist nach unserem heutigen Verständnis Erziehung zur Mündigkeit, zur Selbständigkeit, zur Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen. Deshalb kommt unser Unterricht nicht umhin, die Mitwirkung, ja die Mitbestimmung von Schülerinnen und Schülern zu pflegen. Das Minimum ist, Schüler (und Eltern) über die Planungen der Schule zu informieren, besser noch ist, sie an der Auswahl von Inhalten, Materialien und Methoden in den Grenzen des Möglichen zu beteiligen. Dies ist nicht nur eine Frage der Motivation, sondern ein Erziehungsschritt auf dem Wege zur Übernahme von Verantwortung. Und spätestens jetzt erkennen wir den Aspekt des Erziehenden Unterrichts als einen, der mit der Unterstützung eines aktiven Lernprozesses zu tun hat. Die Mitwirkung von Schülern auf der Ebene der Auswahl von Unterrichtsinhalten und Methoden ist vielfach möglich. Ihre Beteiligung kommt auch in den Phasen der Reflexion des Unterrichts zum Tragen. Dieses an vielen Stellen schon übliche gemeinsame Nachdenken von Lehrern und Schülern über den Unterricht muss aber dann mehr sein als nur ein Zusammentragen im Sinne von: „Was hat uns gefallen?“ oder „Was haben wir heute gelernt?“ Es kann durchaus ein Besprechen und Festlegen der weiteren Unterrichtsschritte sein.

Der Qualitätsrahmen fordert die Unterstützung eines aktiven Lernprozesses von der Lehrkraft ein. Er tut dies möglicherweise aus methodischen Gründen, nämlich weil das aktiv und handelnd Gelernte besser behalten wird; wir dürfen aber nicht die erzieherische Dimension übersehen: Schülerinnen und Schüler werden nicht durch kleinschrittige Anleitung mündig, sondern durch die Möglichkeit, verantwortete Entscheidungen schrittweise einzuüben. Diese Möglichkeit erhalten sie nur, wenn sie selbst aktiv sind, selbst ihre Lernprozesse organisieren und steuern lernen.

4.   Guter Unterricht – Methoden

Wir haben im zweiten Teil einiges über die Ziele guten Unterrichts gehört. Der letzte Teil von Abschnitt 3 „Erziehender Unterricht“ hat uns schon zu den Methoden geführt.

„Gute“ Unterrichtsmethoden sind zunächst einmal die Methoden, die helfen, die „guten“ Unterrichtsziele zu erreichen.

Dazu ist Voraussetzung, dass der Unterricht störungsfrei, wenigstens störungsarm verläuft.

4.1 Merkmale effizienter Klassenführung

Der amerikanische Forscher Kounin hat Verhaltensmerkmale der Lehrer beim Klassenmanagement als zentrale Einflussfaktoren auf das störungsfreie Arbeiten im Unterricht isoliert, empirisch untersucht und beschrieben. Seine Untersuchung ist über dreißig Jahre alt und geht insoweit von einem Unterrichtskonzept aus, das heute nicht in allen Teilen „state of the art“ ist. Gleichwohl sind seine Ergebnisse noch immer interessant. Es handelt sich bei diesen Hinweisen auch eher darum, zu beschreiben, wie eine Lehrkraft die Voraussetzungen für guten Unterricht schafft.

  1. Präsenz
  • Präsenz: Die Lehrkraft vermittelt den Eindruck, dass sie alles im Blick hat und ihr nichts entgeht.

–         Augen „überall haben“

–         Standortwechsel, Gehen durch den ganzen Raum

–         Bestimmtheit in Stimme, Gestik, Mimik, spontane Reaktionen

–         beim Schreiben an die Tafel immer wieder Blick zur Klasse

  • Gleichzeitigkeit: Die Lehrkraft verfügt über die Fähigkeit, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun.

–         während des Unterrichtsgesprächs gleichzeitig Schülerverhalten kontrollieren

–         organisatorische und technische Verrichtungen vornehmen, ohne das Gespräch zu unterbrechen

–         beim Hören von Schülerbeiträgen auch den Blick in der Klasse wandern lassen

  1. Flüssigkeit des Ablaufs
  • Schnelle Aktivitätswechsel

–         Wartezeiten vermeiden (kein langes Suchen…)

–         keine Ablenkungen durch Lehrperson selbst (nicht: „Ach, da fällt mir ein …“)

–         keine störenden Interventionen durch die Lehrkraft selbst

  • Inhaltliche Konsistenz

–         keine (inhaltlichen) Sprünge

–         schnelle inhaltliche Überleitungen

  • Geringfügige Schülerstörungen „im Keim ersticken“

–         kleine Störungen nicht in jedem Fall thematisieren

–         ignorieren oder schnell, spontan, möglichst nonverbal und nebenbei beenden

–         Stoppsignale durch Blickkontakt, Mimik, dämpfende Handbewegungen

  1. Aufrechterhaltung des Gruppenfokus
  • möglichst breite Aufmerksamkeit

–         Im Unterrichtsgespräch:

×           Fragen an alle adressieren

×           Blicke wandern lassen

×           Denkpausen gewähren/ankündigen, schnelle Meldungen „übersehen“

×           alle mal drannehmen

–         Unterrichtsthema:

×           für alle gleichzeitig deutlich und erreichbar machen

×           in den Mittelpunkt der Kommunikation stellen

  • breite Leistungskontrolle

×                 Alle müssen damit rechnen, in den kommenden Sekunden oder Minuten dranzukommen, um Mitarbeit und Verständnis unter Beweis zu stellen.

  1. Überdrussvermeidung
  • angemessene intellektuelle Herausforderung
  • Interesse wach halten und steigern:

–         interessante Problemstellungen ankündigen und anbieten

–         Alltagsnähe fördern (von Stoff und Beispielen)

–         Überraschende Einsichten vermitteln

–         Interesse und Spannung aufbauen

  • für Abwechslung sorgen: inhaltlich – methodisch – arbeitstechnisch – organisatorisch
  • keine überflüssigen Wiederholungen und ausschweifenden Exkurse[1]

4.2 Guter Unterricht

Unter „gutem Unterricht“, will man ihn denn empirisch erfassen, ist nach meinem Verständnis ein Unterricht zu verstehen, der die als „gut“ beschriebenen Bildungsziele zu erreichen hilft.

Hilbert Meyer hat vor einigen Jahren ein Buch veröffentlicht: Was ist guter Unterricht?[2]. Hierauf beziehe ich mich im Folgenden.

Meyer nennt zehn Gütekriterien, die er als empirisch abgesichert bezeichnet:

  1. Klare Strukturierung des Unterrichts(Prozess-, Ziel- und Inhaltsklarheit; Rollenklarheit, Absprache von Regeln, Ritualen und Freiräumen)
  2. Hoher Anteil echter Lernzeit(durch gutes Zeitmanagement, Pünktlichkeit; Auslagerung von Organisationskram; Rhythmisierung des Tagesablaufs)
  3. Lernförderliches Klima(durch gegenseitigen Respekt, verlässlich eingehaltene Regeln, Verantwortungsübernahme, Gerechtigkeit und Fürsorge)
  4. Inhaltliche Klarheit(durch Verständlichkeit der Aufgabenstellung, Plausibilität des thematischen Gangs, Klarheit und Verbindlichkeit der Ergebnissicherung)
  5. Sinnstiftendes Kommunizieren(durch Planungsbeteiligung, Gesprächskultur, Sinnkonferenzen, Lerntagebücher und Schülerfeedback)
  6. Methodenvielfalt(Reichtum an Inszenierungstechniken; Vielfalt der Handlungsmuster; Variabilität der Verlaufsformen und Ausbalancierung der methodischen Großformen)
  7. Individuelles Fördern(durch Freiräume, Geduld und Zeit; durch innere Differenzierung und Integration; durch individuelle Lernstandsanalysen und abgestimmte Förderpläne; besondere Förderung von Schülern aus Risikogruppen)
  8. Intelligentes Üben(durch Bewusstmachen von Lernstrategien, passgenaue Übungsaufträge, gezielte Hilfestellungen und „übefreundliche“ Rahmenbedingungen)
  9. Transparente Leistungserwartungen(durch ein an den Richtlinien oder Bildungsstandards orientiertes, dem Leistungsvermögen der Schülerinnen und Schüler entsprechendes Lernangebot und zügige förderorientierte Rückmeldungen zum Lernfortschritt)
  10. Vorbereitete Umgebung(durch gute Ordnung, funktionale Einrichtung und brauchbares Lernwerkzeug)

Auf diesen Punkt 10 möchte ich ganz besonders hinweisen, wir kennen den Begriff der „vorbereiteten Umgebung“ aus der Montessoripädagogik. Er bedeutet, dass die Lehrkraft die Voraussetzungen für den erfolgreichen Lernprozess organisiert, Material herstellt oder aussucht, jedenfalls zur Verfügung stellt und die Rolle des Unterstützers und Helfers im Lernprozess übernimmt. Ihr Inspektionsbericht sagt aus, dass einerseits eine umfangreiche Ausstattung mit Computerräumen, mit Personalcomputern und mobilen Systemen im Klassenraum vorhanden sind, andererseits aber konnte der Einsatz im Besuchszeitraum kaum beobachtet werden.

Hans Haenisch aus dem nun aufgelösten Landesinstitut für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen in Soest hat Kriterien für guten Unterricht genannt, die hier aufgelistet werden.[3]

Die folgenden Kriterien zu gutem Unterricht beziehen sich auf die übergreifenden Aspekte von Lehren und Lernen, die alle Jahrgänge und Fächer betreffen. Die empirischen Studien, aus denen die Kriterien gewonnen wurden, sind darauf ausgerichtet, den Zusammenhang zwischen Unterrichtsprozessen und -maßnahmen (als Prozessvariablen) auf der einen sowie Schülerleistungen in Form von Testergebnissen (als Produkt) auf der anderen Seite zu untersuchen.

(1)  Den Unterricht klar ausrichten, ihm Struktur geben und Klarheit über Ziele herstellen
Unterricht an übergreifenden Zielen orientieren
Netzwerke zusammenhängenden Wissens schaffen

(2)  Orientierung geben
Strukturen des zu Lernenden aufzeigen
Überblick über die Stunde geben
Bedeutung der Inhalte transparent machen
Auf die Aufgabenbearbeitung vorbereiten
Verstehensprozesse unterstützen

(3)  Die aktive Beteiligung verstärken und Lerngelegenheiten bewusst gestalten
Lernumgebungen möglichst vielfältig gestalten
Interessante Themen in einem Diskurs bearbeiten
In lebensnahen Kontexten lernen
Schülerinnen und Schüler über Ziele, Wege und Inhalte des Lernens (mit)entscheiden lassen
Antworten immer auch begründen lassen
Mit Fragen die Wissenskonstruktion anregen
Durch Hausaufgaben die Lerngelegenheiten erweitern

(4)  Das bisherige Wissen berücksichtigen und entsprechend umstrukturieren
Auf den bestehenden Vorstellungs- und Wissensstrukturen aufbauen
Lernen durch Umstrukturierung vorhandenen Wissens

5)  Lernstrategien zeigen
Den Lernprozess planen und strukturieren
Den eigenen Lernprozess reflektieren
Sich Überblick über das Gelernte verschaffen

(6)  Gelegenheit bieten, das Gelernte zu üben und anzuwenden
Übung in variierender Form wiederholen
Übungen mit konkreten Anwendungen verbinden

(7)  Aktivitäten und Lernfortschritte sorgfältig beobachten, kontrollieren, analysieren und Rückmeldungen geben
Lernfortschritte beobachten und erfassen
Lernerfolge und Lernschwierigkeiten diagnostizieren
Regelmäßig Rückmeldungen über ihre Lernfortschritte geben
Auch Hausaufgaben als Diagnoseinstrument nutzen

(8)  Phasen kooperativen Lernens systematisch in die Lernsequenzen einbauen
Die Arbeit in der Gruppe vorbereiten
Die Arbeit in der Gruppe organisieren

(9)  Für einen lernförderlichen Unterrichtskontext sorgen
Lehrkräfte zeigen Offenheit und Fehlertoleranz
Lehrkräfte nehmen Anteil am Lernen
Lehrkräfte fördern die Neugier
Freundlich, aufrichtig und geduldig sein
Für reibungslosen Ablauf des Unterrichts sorgen

Das Qualitätsprofil der N.-Schule zeigt, dass es gelingt, ein „pädagogisches Klima“, eine „unterstützende Arbeitsatmosphäre“ zu schaffen. Diese Kategorie ist bei Haenisch angesprochen durch die Ziffer „(9)  Für einen lernförderlichen Unterrichtskontext sorgen“ bei Hilbert Meyer ist es die Kategorie „Lernförderliches Klima“.

„Zielorientierung und Strukturierung“ werden bei Ihnen mit der überdurchschnittlichen Bewertung „3“ belegt. Auch diese Kriterien werden bei Meyer und Haenisch aufgeführt. In der Begründung des Inspektionsberichts wird allerdings einschränkend auf die Zieltransparenz für Schülerinnen und Schüler verwiesen. Dies ist für mich erstaunlich, weil es Ihnen ja offenbar besonders gelingt, Eltern und Schüler zu beteiligen. Dieser Bereich ist mit „stark“, also „4“ bewertet.

„Stimmigkeit und Differenzierung“ sind ebenfalls mit „3“ benotet. Einschränkend wurde hier gesehen, dass das problemlösende Denken nicht ausreichend berücksichtigt wurde, während die innere Differenzierung teils in besonders guter Qualität, teils aber als defizitär und fehlend wahrgenommen wurde. Bei Meyer ist diese Kategorie durch „Methodenvielfalt“ und „Individuelles Fördern“ beschrieben.

Gelegenheiten zum selbständigen Lernen vermissen die Inspektoren. Sie machen dies unter anderem daran fest, dass Gelegenheiten zum selbständigen Planen von Lernprozessen oder Teilen davon kaum beobachtet werden konnten. – Bei Haenisch ist hierzu der Bereich „(3)  Die aktive Beteiligung verstärken und Lerngelegenheiten bewusst gestalten“ beschrieben.

Selbständiges Lernen und problemlösendes Denken haben miteinander zu tun: Probleme lösen setzt voraus, dass ich Gelegenheit habe, Lösungen oder zumindest Lösungsansätze zu suchen. Schülerinnen und Schüler müssen im Gespräch, d. h. in Sozialformen des Unterrichts wie Partner- oder Gruppenarbeit, gewiss aber auch in Einzelarbeit über das zu lösende Problem nachdenken können. Ich verweise hier auf TIMSS-Video. Ein Teilbereich der TIMS-Studie, in der Video-Aufnahmen von Unterricht aus Japan, USA und Deutschland miteinander verglichen wurde, zeigte, dass genau dieser Mathematikunterricht am erfolgreichsten ist, der Schülern die Gelegenheit zum eigenen Suchen und Finden gibt.

Es lohnt sich, hier noch einen Augenblick zu verweilen und die Unterschiede einer typischen japanischen und einer typischen deutschen Mathematikstunde miteinander zu vergleichen:

„Eine typische japanische Mathematikstunde hat etwa folgenden Verlauf:

  • Der Lehrer stellt der Klasse ein komplexes und kognitiv anspruchsvolles mathematisches Problem, dessen Lösung nicht unmittelbar evident ist.
  • Die Schüler arbeiten einzeln oder in Gruppen- oder Partnerarbeit an der Problemlösung.
  • Verschiedene Schüler, die vom Lehrer aufgrund der eingeschlagenen unterschiedlichen Lösungswege ausgewählt wurden, präsentieren der Klasse alternative Aufgabenlösungen, die an der Tafel dokumentiert werden.
  • Im Unterrichtsgespräch werden die verschiedenen Lösungswege diskutiert.
  • Der Lehrer fasst die Ergebnisse in einem kurzen Lehrervortrag zusammen und notiert sie an der Tafel.
  • Die Schüler bearbeiten in Einzel- oder Gruppenarbeit ähnliche, aber auf neue Anwendungskontexte übertragene mathematische Aufgaben.

In Deutschland lassen sich zwei Varianten … unterscheiden:

  • Die Stunde beginnt mit der Durchsicht und Besprechung der Hausarbeiten.
  • Es folgt eine kurze Wiederholungsphase.
  • Variante 1: Der neue mathematische Stoff wird im fragend-entwickelnden Unterrichtsgespräch, das auf eine einzige Lösung hinführt, relativ kurzschrittig erarbeitet und vom Lehrer an der Tafel dokumentiert.
  • Variante 2: Wenn das Thema schon in der vorhergegangenen Stunde vorbereitet wurde, entwickelt ein Schüler – unterstützt von der Klasse und dem Lehrer – eine Aufgabe an der Tafel.
  • Es werden in Stillarbeit ähnliche Aufgaben zur Einübung des Verfahrens gelöst.“[4]

Hierzu ist zu bemerken, dass Japan bei der TIMS-Studie deutlich besser als Deutschland abgeschnitten hat. Interessant ist auch der Hinweis, dass die deutsche Fachdidaktik ähnliche Konzepte wie das japanische schon lange propagierte, aber zumindest in den neunziger Jahren die Praxis nicht hinreichend in diesem Sinne beeinflussen konnte. Erwähnt sei aber auch, dass die TIMS-Studie über zehn Jahre alt ist und die letzten PISA-Studien für Deutschland positive Ergebnisse im Bereich problemlösendes Denken feststellen konnte.

Problemlösen, ja Lernen überhaupt findet nur statt, wenn Lernende selbst aktiv werden (können). Befassen wir uns nun mit dem selbständigen Lernen.

5.   Selbständiges Lernen

Im Internet findet man mittlerweile zahlreiche Hinweise auf „Selbstlernzentren“, z. B. das „Selbstlernzentrum Offenbach“. Ich zitiere aus der Website:

„Startpunkt für Weiterbildung. Vom Schüler über Berufstätige und Arbeitssuchende bis hin zum wissensdurstigen Senioren oder deutschlernenden Migranten: Alle gestalten ihr eigenes Lerntraining. Die Lernziele, das Lerntempo, die Lernzeiten und den ‚Stundenplan’ bestimmen die Lernenden selbst.“

Oder auf dem nordrhein-westfälischen Bildungsserver: „Das Selbstlernzentrum für die gymnasiale Oberstufe dient dazu, den Schülerinnen und Schülern Gelegenheit zu geben, sich selbstständig in neue Sachverhalte einzuarbeiten, zu bekannten Themen zusätzliche Übungen zu machen oder auch individuelle Lücken zu schließen.

Der Computer spielt im Selbstlernzentrum eine große Rolle, da er moderne Formen der Selbstüberprüfung und des Ausprobierens ermöglicht. Dasjenige Material kommt dem Gedanken des Selbstlernzentrums am nächsten, das Hilfen und vollständige Lösungsmuster bereitstellt und damit die ständige Ansprache eines Lehrers oder einer Lehrerin erübrigt. Hilfen und Lösungen müssen dabei vielfach engschrittig ausfallen, damit eine große Bandbreite von Lernschwierigkeiten erfasst wird. Bisweilen ist eine Musterlösung nur eine von mehreren möglichen; dies ändert aber nichts daran, dass der Schüler und die Schülerin einen Anspruch hat auf eine vollständige Vorlage, so dass – auch im rechtlichen Sinne – das Material ein vollgültiges Äquivalent zu einer entsprechenden Unterrichtseinheit darstellt.“

Das verblüfft nun: Einerseits ist es schlüssig, wenn im Selbstlernzentrum die ständige Ansprache einer Lehrkraft sich erübrigt, andererseits aber gewiss kontraproduktiv, wenn Hilfen und Lösungen engschrittig ausfallen sollen.

Es ist außerdem zu fragen: Wie lernt man denn außerhalb von Selbstlernzentren? Lerne ich dort nicht selbst? Tut dies ein anderer für mich? Natürlich kann niemand anderes für mich das Fahrradfahren oder das Tanzen lernen, und ebenso wenig das Einmaleins, die Integralrechnung oder das Interpretieren von Gedichten. Der Begriff „Selbstlernzentrum“ ist also ein „weißer Schimmel“.

Damit sind wir aber schon am Punkt: Lernen ist ein Prozess, den das lernende Individuum selbst vollzieht, in der Schule tut es das im sozialen Kontext von Mitschülern und Lehrkräften. Auftrag und Aufgabe der Lehrkraft ist es, die Bedingungen so zu organisieren, dass genau diese Selbsttätigkeit möglich wird.

5.1 Selbstreguliertes Lernen

Das PISA-Konsortium spricht treffender vom „selbstregulierten Lernen“ und beschreibt es so:

„Lernende, die ihr eigenes Lernen regulieren, sind in der Lage, sich selbstständig Lernziele zu setzen, dem Inhalt und Ziel angemessene Techniken und Strategien auszuwählen und sie auch einzusetzen. Ferner halten sie ihre Motivation aufrecht, bewerten die Zielerreichung während und nach Abschluss des Lernprozesses und korrigieren – wenn nötig – die Lernstrategie.“[5]

Es geht also beim selbstregulierten Lernen um zwei Aspekte: Um Techniken und Strategien einerseits, um Motivation andererseits.

Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung sagt zum selbstregulierten Lernen:

  • „PISA geht von einem primär funktionalen Verständnis von Grundbildung aus: Es sollen Fähigkeiten und Fertigkeiten erfasst werden, die sich im gegenwärtigen und zukünftigen Leben des jungen Menschen bewähren.
  • Im PISA-Modul des Selbstregulierten Lernens (SRL) wird dieses Verständnis erweitert und präzisiert. Es sollen Fähigkeiten und Fertigkeiten erfasst werden, die zukünftiges Lernen fördern und erleichtern.
  • Angesichts der mangelnden Vorhersagbarkeit, welches Wissen Jugendliche als Erwachsene benötigen werden, ist die theoretische Grundlage ein dynamisches Modell des kontinuierlichen Weiter-, Um- und Neulernens über die gesamte Lebensspanne hinweg.
  • Die Voraussetzung für erfolgreiches Lernen im zukünftigen Leben ist die Fähigkeit, das eigene Lernen – individuell und in Gruppen – zu organisieren und zu regulieren. Dafür sind kognitive und motivationale Ressourcen notwendig.“[6]

Der Begriff des „selbstregulierten Lernens“ scheint mir dem entgegenzukommen, was Ihre Inspektoren meinen: Schülerinnen und Schüler sollen ihr eigenes Lernen selbst organisieren und regulieren. Sie werden aktiv. Sie setzen sich Ziele und versuchen, diese Ziele zu erreichen.

5.1.1 Motivation

Selbständige Lerner kann man nicht von außen motivieren, die Motivation kommt von innen, aus der Erfahrung, dass Arbeit und Lernen zum Erfolg führen. Dies muss über das Tun gelingen. Die Lehrkraft kann ermutigen, helfen, auch bei Misserfolg trösten; „motivieren“ als transitives Verb in einem technischen Sinne zu lesen, ist hingegen problematisch. Wenn es um Selbständigkeit, letztlich um Mündigkeit geht, steht „motivieren“ als von außen gesteuerter Impuls unter Manipulationsverdacht.

5.1.2 Methodenkompetenz

Außerdem gehört zum selbstregulierten Lernen Methodenkompetenz. Selbstverständlich muss ich über die Methoden des Lernens und Arbeitens verfügen, wenn ich meine Lernziele erreichen will. Hier kennt nicht nur der Lehrer, sondern auch der Lerner die Methoden und entscheidet über ihren Einsatz. Die Methodenkompetenz der Lehrkraft besteht im Sinne der Unterrichtsmethoden. Diese müssen aber darauf ausgerichtet sein, die Selbständigkeit der Lerner zu optimieren.

Die Bedeutung des Methodenlernens fasst Klippert in folgenden Thesen zusammen[7]:

Warum Methodenlernen wichtig ist

Einige Thesen für die schulinterne Diskussion

  1. Viele Schüler sind beim Lernen unsicher und/oder überfordert, weil ihnen die nötigen methodischen Klärungen und Routinen (Algorithmen) fehlen!
  2. Die Lernmethoden im Unterricht sind in aller Regel Lehrer-Methoden; die Lehrer/innen bahnen den methodischen Weg für die Schüler. Kein Wunder also, dass viele Schüler recht hilflos sind, wenn die gewohnte Lehreranweisung fehlt!
  3. Die gelegentliche Methodenbelehrung durch die Lehrer/innen bewirkt wenig, da sie mehr oder weniger appellativ und abstrakt bleiben muss. Methoden müssen experimentell gelernt und gefestigt werden, und sie können nur sehr begrenzt »gelehrt« werden!
  4. Die einseitige Stofforientierung der Lehrpläne, der Schulbücher und der Lehrerausbildung verleitet dazu, das Methodenlernen der Schüler über Gebühr zu vernachlässigen!
  5. Andererseits: Führende Bildungsexperten sind sich darin einig, dass die Methoden- und die Sozialkompetenz der Schüler relativ zur Fachkompetenz immer stärker an Bedeutung gewinnen!
  6. Deshalb: Bildung ist mehr als die Vermittlung obligater Fachkenntnisse und enzyklopädischen Wissens. Bildung zielt auch und besonders auf die Befähigung zur »Selbst-Bildung«. Das aber verlangt methodische        Versiertheit!
  7. Fazit: Die Verbesserung der Methodenkompetenz ist der Schlüssel zu mehr Mündigkeit sowie zur Förderung des Lernerfolgs und der Lernmotivation der Schüler!

Klipperts Methodentraining ist nicht unumstritten: Viele werfen ihm vor, er übersieht, dass eine Methode immer nur im Kontext eines Inhaltes zu sehen ist. Methode pur kann nicht trainiert werden. Dennoch finden seine Bücher reißenden Absatz und seine Ideen bilden die Basis vieler Schulinterner Fortbildungen.

Klippert stellt folgende Methoden vor:[8]

Methodenkompetenz
Vertraut sein mit zentralen Makromethoden Beherrschung elementarer Lern- und Arbeitstechniken Beherrschung elementarer
Gesprächs- und Kooperationstechniken
–  Gruppenarbeit
–  Planspiel
–  Metaplanmethode
–  Fallanalyse
–  Problemlösendes Vorgehen
–  Projektmethode
–  Leittextmethode
–  Schülerreferat
–  Facharbeit
–  Unterrichtsmethodik
–  Feedback-Methodenetc.
–  Lesetechniken
–  Markieren
–  Exzerpieren
–  Strukturieren
–  Nachschlagen
–  Notizen machen
–  Karteiführung
–  Protokollieren
–  Gliedern/Ordnen
–  Heftgestaltung
–  Visualisieren/Darstellen
–  Bericht schreiben
–  Arbeitsplanung (z. B. Klassenarbeit vorbereiten)
–  Arbeit mit Lernkartei
–  Mnemotechniken
–  Arbeitsplatzgestaltungetc.
–  Freie Rede
–  Stichwortmethode
–  Rhetorik (Sprach- / Vortragsgestaltung)
–  Fragetechniken
–  Präsentationsmethoden
–  Diskussion/Debatte
–  Aktives Zuhören
–  Gesprächsleitung
–  Gesprächsführung
–  Zusammenarbeiten
–  Konfliktmanagement
–  Metakommunikationetc.
Makromethoden Mikromethoden

Klippert plädiert für „ein flankierendes Methoden-Training“, zu dem er folgende Elemente zählt:[9]

Methodentraining im Unterricht
Selbständige

Informationsgewinnung

Produktive

Informationsverarbeitung

Argumentation

und Kommunikation

Systematisches Üben und Wiederholen
–  Diagonales / rasches Lesen
–  gezieltes Markieren und Symbolisieren
–  Exzerpieren / Archivieren
–  In Büchern nachschlagen
–  Fragetechnik erlernen
–  Bibliothekserkundung
–  Filme / Schaubilder Tabellen… auswerten
–  Referat mitschreiben
–  Arbeit mit Computerdatei
–  Beobachtungs- / Wahrnehmungstraining
–  Einfache Ordnungstechniken (Unterstreichen, Ausschneiden, Aufkleben, Lochen…)
–  Reduzieren und Strukturieren (Tabelle, Schaubild, Tafelbild, Plakat, Ausstellung)
–  Visualisieren und Präsentieren (Wandzeitung, Tafel, Plakat, Pinnwand, Tageslichtprojektor; Diareihe…)
–  Klar und verständlich schreiben (Referat, Kommentar; Protokoll…)
–  Politischen Wochenbericht/Monatsbericht erstellen
–  Unfertige Arbeitsblätter fertig stellen
–  Planen und Entscheiden (Entscheidungstraining)
–  Assoziatives Sprechen (Foto- / Begriffsassoziationen)
–   Nach Stichworten vortragen
–  Begründungstraining / Begründungsspiele
–  Frage-Antwort-Spiele (themenzentriert)
–  Vortrag halten und visualisieren
–  Gesprächsregeln einüben
–  Kontrollierter Dialog
–  Rollenspiel / Planspiel / Debatte / Hearing / Tribunal…
–  Gespräche und Vorträge dokumentieren und analysieren
–  Lerntypentest durchführen
–  Probetest erstellen
–  Frage-Antwort-Spiel
–  Spickzettel / Lernplakat anlegen
–  Arbeit mit Lernkartei
–  Notizen machen (Pinnwand)
–  Gedächtnistraining (Vokabeln / Daten lernen)
–  Üben mit Tonband
–  Vorbereitung von Klassenarbeiten (Auswertung lernpsychologischen Materials)
–  Der Arbeitsplatz zu Hause / Hausaufgaben erledigen
–  Freies Arbeiten und Üben

Methodentraining ist nicht zufällig im Unterricht zu platzieren: Die Schule als System muss ein Methodencurriculum haben, die Verteilung der Elemente des Methodencurriculums auf die Schullaufbahn muss abgesprochen, dokumentiert, eingehalten und die Einhaltung überwacht werden. Dies erfordert Teamarbeit der Lehrkräfte auf verschiedenen Ebenen: Das Gesamtsystem muss einen Rahmen definieren. Die Fachkonferenzen müssen ihre Methodenbedarfe klären und konkretisieren, die Klassenkonferenzen bzw. die Jahrgangsteams müssen die zeitliche Abstimmung in den konkreten lerngruppenbezogenen Phasen vornehmen.

5.2 Kompetenzen und Kerncurricula

Wenn es richtig ist, dass man nicht vorhersagen kann, welches Wissen unsere Schülerinnen und Schüler in Zukunft benötigen, gewinnen Kompetenzen, also neben Kenntnissen auch Fähigkeiten und Fertigkeiten, Aufgaben zu lösen, die sich im Leben stellen, an Gewicht. Die niedersächsischen Kerncurricula gehen von folgendem Kompetenzbegriff aus:

„Kompetenzen

Kompetenzen umfassen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, aber auch Bereitschaften, Haltungen und Einstellungen, über die Schülerinnen und Schüler verfügen müssen, um Anforderungssituationen gewachsen zu sein. Kompetenzerwerb zeigt sich darin, dass zunehmend komplexere Aufgabenstellungen gelöst werden können. Deren Bewältigung setzt gesichertes Wissen und die Kenntnis und Anwendung fachbezogener Verfahren voraus.

Schülerinnen und Schüler sind kompetent, wenn sie zur Bewältigung von Anforderungssituationen

  • auf vorhandenes Wissen zurückgreifen,
  • die Fähigkeit besitzen, sich erforderliches Wissen zu beschaffen,
  • zentrale Zusammenhänge des jeweiligen Sach- bzw. Handlungsbereichs erkennen,
  • angemessene Handlungsschritte durchdenken und planen,
  • Lösungsmöglichkeiten kreativ erproben,
  • angemessene Handlungsentscheidungen treffen,
  • beim Handeln verfügbare Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten einsetzen,
  • das Ergebnis des eigenen Handelns an angemessenen Kriterien überprüfen.

Kompetenzerwerb

Der Kompetenzerwerb beginnt bereits vor der Einschulung, wird in der Schule in zunehmender qualitativer Ausprägung fortgesetzt und auch im beruflichen Leben weitergeführt. Im Unterricht soll der Aufbau von Kompetenzen systematisch und kumulativ erfolgen; Wissen und Können sind gleichermaßen zu berücksichtigen.

Dabei ist zu beachten, dass Wissen „träges”, an spezifische Lernkontexte gebundenes Wissen bleibt, wenn es nicht aktuell und in verschiedenen Kontexten genutzt werden kann. Die Anwendung des Gelernten auf neue Themen, die Verankerung des Neuen im schon Bekannten und Gekonnten, der Erwerb und die Nutzung von Lernstrategien und die Kontrolle des eigenen Lernprozesses spielen beim Kompetenzerwerb eine wichtige Rolle.

Lernstrategien wie Organisieren, Wiedergabe von auswendig Gelerntem (Memorieren) und Verknüpfung des Neuen mit bekanntem Wissen (Elaborieren) sind in der Regel fachspezifisch lehr- und lernbar und führen dazu, dass Lernprozesse bewusst gestaltet werden können. Planung, Kontrolle und Reflexion des Lernprozesses ermöglichen die Einsicht darin, was, wie und wie gut gelernt wurde.“[10]

Ihnen fällt sicher auf, dass sich hier die Themen „Selbstreguliertes Lernen“ und „Kompetenzen“ kompatibel darstellen: Kompetenzen werden durch eigenes Tun, durch eigenes Üben selbständig erworben, sie können nicht durch Lehrervortrag gelernt werden, auch nicht im „gelenkten Unterrichtsgespräch“.

Kompetenzen sind an Inhalte gebunden. „Wissen und Können sind gleichermaßen zu berücksichtigen“, heißt in den Kernlehrplänen. Die Kerncurricula in Niedersachsen wie in anderen Bundesländern unterscheiden prozessbezogene und inhaltsbezogene Kompetenzen. Für das Fach Mathematik sei das Beispiel hier aufgeführt:

Prozessbezogene Kompetenzbereiche

  • Modellieren
  • Problemlösen
  • Argumentieren
  • Kommunizieren
  • Darstellen
  • Symbolische, formale und technische Elemente

Inhaltsbezogene Kompetenzbereiche

  • Zahlen und Operationen
  • Größen und Messen
  • Raum und Form
  • Funktionaler Zusammenhang
  • Daten und Zufall

Wie schon gesagt: Bildungsstandards und Kernlehrpläne beschreiben die Kompetenzen, die am Ende eines Schuljahres bzw. am Ende der Schulzeit erworben sein sollen. Sie beschreiben Ergebnisse, sie sind output-orientiert. Gleichzeitig wird der Weg, wie die Schule diese Ergebnisse erreicht, nicht festgelegt, sondern freigegeben. Das heißt: Die selbständige Schule (selbstverantwortete Schule) hat verpflichtende Ziele bei freier Wahl des Weges, wie diese Ziele standortbezogen erreicht werden. Selbständigkeit, Entscheidung und Verantwortung, ja Mündigkeit wachsen nur in einem System, das nach diesen Prinzipien organisiert ist.

6.   Zusammenfassung

Ich fasse zusammen:

  1. Schülerinnen und Schüler lernen durch eigenes Handeln, Probieren und Üben. Dies kann Ihnen niemand abnehmen.
  2. Schülerinnen und Schüler sollen im Rahmen ihrer Möglichkeiten an der Gestaltung des Unterrichts, auch bei der Auswahl von Inhalten und Methoden, mitwirken.
  3. Die Rolle der Lehrkraft ist damit eine andere. Sie gestaltet die Voraussetzungen für den Lernprozess, sie organisiert und hilft beim Lernen.
  4. Zum selbständigen Lernen ist es notwendig, dass Schülerinnen und Schüler Methoden und Arbeitsweisen lernen.
  5. Diese Methoden sind systematisch über ein Methodencurriculum in den Unterricht einzubringen.
  6. Dadurch wachsen Kompetenzen, die in verschiedenen Zusammenhängen mit unterschiedlichem Wissen eingesetzt werden können.
  7. Als Unterrichtsmethoden sind Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit Mittel der Wahl.
  8. Bildungsstandards, Kerncurricula, selbstreguliertes Lernen und selbständige Schule bilden eine Einheit. Sie haben das Ziel, Selbständigkeit und verantwortliches Handeln auf allen Ebenen zu erreichen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

[1] vgl. Kounin, J.S.): Techniken der Klassenführung, Bern/Stuttgart 1976[1] – Original: Kounin, J.S (1970). Discipline and group management in classroom. New York: Holt, Rinehart et Winston – nach: Nolting,  H.-P. Störungen in der Schulklasse . Ein Leitfaden zur Vorbeugung und Konfliktlösung. Weinheim: Beltz 2001;

vgl. auch: http://bebis.cidsnet.de/weiterbildung/sps/allgemein/bausteine/einfuehrung/kounin.htm (11.11.2007)

[2] Meyer, Hilbert: Was ist guter Unterricht. Cornelsen Scriptor. Berlin 2004

[3] Hans Haenisch; Merkmale erfolgreichen Unterrichts. – Forschungsbefunde als Grundlage für die Weiterentwicklung von Unterrichtsqualität. Soest 1999
vgl. http://www.qis.at/material/merkmale%20erfolgreichen%20unterrichts.pdf (11.11.2007)

[4] Baumert, J. / Lehmann, R. u. a.: TIMSS – Mathematisch-naturwissenschaftlicher Unterricht im internationalen Vergleich. Deskriptive Befunde. Leske. Opladen 1997. S. 225 f.

[5] Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.): PISA 2000 – Basiskompetenz von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Opladen 2001 S.271

[6] http://www.mpib-berlin.mpg.de/en/Pisa/pdfs/SelbstreguliertesLernen.pdf

[7] Klippert, Heinz: Methoden-Training. Übungsbausteine für den Unterricht. 9. Auflage, Weinheim und Basel 1999. S. 246

vgl. http://www.olev.de/m/methodenkompetenz.htm (11.11.2007)

[8] vgl. a. a. O. S. 28

[9] vgl. a. a. O., S. 35

[10] Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.): Kerncurriculum für die Realschule. Schuljahrgänge 5 – 10. Naturwissenschaften.