Diagramm: Triadisches Interdependenzmodell nach Franz Mönks (2000); übernommen von http://www.mhaensel.de/begabungsfoerderung/begabungsmodelle.html
In diesem zweiten Teil der Serie Hochbegabung geht es um die Frage der Diagnostik von Begabungen.
Wann bezeichnet man ein Kind als hochbegabt?
In unserem Post Hochbegabung I haben wir festgestellt, dass Begabung und Intelligenz bei weitem nicht dasselbe ist. Dennoch gibt es Autoren von Websites, wie zum Beispiel https://www.begabtenpaedagogik.de/hochbegabung.html, die eine Hochbegabung ausschließlich über den Intelligenzquotienten (IQ) definieren; die Autorin irrt allerdings, wenn sie schreibt: „Von einer Hochbegabung spricht man, wenn im Rahmen eines Intelligenztest (IQ-Tests) ein Intelligenzquotient von über 130 festgestellt wird.“ Das ist eine unzulässige Beschränkung auf einen Teilaspekt einer kognitiven Begabung. Jemand, der dieses Kriterium erfüllt, ist sehr intelligent, möglicherweise auch hochbegabt; aber dazu braucht es anderes oder mehr. Solche Anbieter kann ich Eltern nicht empfehlen.Die eindimensionale, einseitige Definition von Hochbegabung, die sich ausschließlich auf kognitive Fähigkeiten wie die Intelligenz bezieht , wird heute als unzulänglich angesehen. Mehr und mehr wurden in der Fachwelt mehrdimensionlae Modelle beschrieben. In diesen Modellen werden auch andere Elemente berücksichtigt, zum Beispiel soziale und motivationale Elemente, Konzentrationsvermögen, Kreativität. Diese Modelle greifen das dynamische Verständnis von Begabung auf, das vor allem auf die Forschungen Heinrich Roths zurückgeht. Demnach ist die Begabung eines Menschen keine ausschließlich durch Erbanlagen festgelegte Eigenschaft, sondern ein durch die Umwelt beeinflussbarer Prozess. Das heißt zunächst: Immer ist Begabung so vielfältig fundiert, dass ein Intelligenztest nicht genügt, um sie festzustellen; im Gegenteil, oft ist er überflüssig. Wie ein solches komplexes Begabungsmodell aussehen kann, zeigt die folgende Grafik. (In der Literatur gibt es mehrere solcher Modelle, die sich in manchen Aspekten unterscheiden.)
Das Münchener Hochbegabungsmodell nach Heller u. a. aus dem Jahre 2005
Quelle: Studium digitale – Universität Frankfurt, aufgerufen am 29.12.2017
Begabungsdiagnostik
Begabungsdiagnostik wird eingesetzt, um das individuelle Fähigkeitspotenzial eines Kindes zu erkennen. Stärken und Schwierigkeiten werden über das Begabungsprofil abgebildet. Dazu werden z. B. Intelligenztests … eingesetzt. Neben den kognitiven (geistig-intellektuellen) Merkmalen müssen ebenso Persönlichkeits- und Umweltmerkmale einbezogen werden.
Diagnostik im Unterricht bedeutet, den jeweiligen Lernstand und die Lernvoraussetzungen des einzelnen Schülers zu kennen, um individuell fördern zu können.
Quelle: Bildung & Begabung, aufgerufen am 29.12.2017
Das Land Nordrhein-Westfalen hat verschiedene Initiativen und Projekte initiiert und gefördert, in denen es um Begabungen geht. Im Grunde ist das etwas Selbstverständliches: die individuelle Förderung von Kindern, die das Schulgesetz schon seit einer Reihe von Jahren vorschreibt. Individuelle Förderung bedeutet, jedes Kind nach seinen Möglichkeiten zu fördern. Schwache Lerner ebenso wie gute; Ziele setzen, die für das Kind erreichbar sind, Methoden und Inhalte auswählen, die zu seinen Möglichkeiten, seinen Begabungen, passen. Im Netzwerk Zukunftsschulen NRW arbeiten auch Schulen zusammen, die spezielle Konzepte für den Unterricht mit hochbegabten Kindern entwickelt haben.
Es existiert keine verbindliche „Gebrauchsanweisung“, wie man Begabung sicher erkennt. Deshalb können Checklisten immer nur erste Anhaltspunkte bieten. Kinder und Jugendliche so früh wie möglich für ihre Fähigkeiten zu interessieren und sie dabei zu unterstützen, ihre Potenziale zu erkennen und zu entwickeln, ist hingegen ein unumstrittener Ansatz.
Quelle: Bildung & Begabung – Wie erkenne ich eine Begabung?, aufgerufen am 29.1.22017
Beispiel: Internationales Centrum für Begabungsforschung in Münster
In unserer Nachbarschaft, in Münster, gibt es das icbf, das Internationale Centrum für Begabungsforschung. Es hat ein sehr gutes Renommee. Die Universitäten Münster, Osnabrück und Nijmegen arbeiten hier zusammen. Es wird von Prof. Dr. Christian Fischer geleitet – einem ausgewiesenen Fachmann. Auf seiner Website beschreibt dieses Institut den Weg der Begabungsdiagnostik, den es Eltern und Kindern anbietet:
Ablauf einer Begabungsdiagnostik:
- Kontakt (Telefongespräch, Terminvereinbarung, Übersendung von Anmeldebogen, Anamnesebogen, Fragebögen)
- Testdiagnostik (Anamnese/Exploration, Intelligenztests, Persönlichkeitsfaktoren, Lern-/Arbeitsverhalten, spezielle Probleme; Dauer: etwa 4 Stunden)
- Auswertung der Befunde
- Nachbesprechung (Besprechung der Befunde, Empfehlungen für eine Förderung, Klärung spezieller Probleme, Dauer: etwa 1,5 Stunden)
- Gutachtenerstellung (ausführliche Befundbeschreibung und Förderempfehlungen)
Quelle: Internationales Centrum für Begabungsforschung, aufgerufen 29.12.2017
(Hier finden interessierte Eltern auch Angaben zu Sprechzeiten und Kontaktdaten.)
Praxisbeispiele an Schulen in NRW
Die Website des Schulministeriums Bildungsportal enthält ebenfalls einen Beitrag Diagnostik besonderer Begabungen. Interessierte finden hier praxisnahe Hinweise, wie Hochbegabungen auf verschiedenen Gebieten erkannt werden. Eine der beteiligten Schulen ist die Fritz-Winter-Gesamtschule in Ahlen. Sie hat u. a. ein Instrumentarium entwickelt, wie die Begabungen, auch Hochbegabungen, bei Kindern konkret „entdeckt“ (diagnostiziert) werden können. Die Suche danach erstreckt sich auf die gesamte Breite von Begabungen: in Musik, Sport und Kunst ebenso wie im kognitiven Bereich, in dem die Intelligenz eine größere Rolle spielt. Eltern, Lehrer und die Kinder selbst wirken hierbei zusammen. Eltern und Schüler füllen einen Fragebogen aus, die Lehrer dokumentieren ihre Beobachtungen im Unterricht. Die Fragebögen und weitere Aktivitäten sind hier nachzulesen. Wie genau die Schule das macht, hat die verantwortliche Lehrerin in einer Word-Datei zusammengestellt, die an der gleichen Stelle wie die erwähnten Fragebögen zu finden ist. Dort findet man auch Beispiele aus anderen Schulformen, aus der Grundschule (James-Krüss-Grundschule Herne) und aus dem Gymnasium (Clara-Schumann-Gymnasium Holzwickede)
Begabung oder Hochbegabung?
Der Begriff Hochbegabung ist nicht trennscharf zu definieren; die immer wieder genannte Zahl 130 als unterer Grenzwert bezieht sich nur auf den Intelligenzquotienten, nicht auf die Begabung insgesamt. Letztlich ist es auch gleichgültig, wie man den Sachverhalt benennt, wichtig ist, dass der Auftrag erfüllt wird, jedes Kind individuell nach seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten zu fördern.
Und wie Schulen das grundsätzlich leisten können, sehen wir in der nächsten Folge.