Immer bessere Abitur-Noten I – Warum es Unsinn ist, Durchschnittsnoten überhaupt zu berechnen

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Zurzeit hört man, und wahrscheinlich zu Recht, dass die Abiturnoten immer besser werden. 25 % und mehr Durchschnittsnoten sollen mittlerweile eine 1 vor dem Komma haben.

Mit den Gründen dafür befassen wir uns später, in weiteren Folgen zum Thema Schulnoten oder Zensuren. Heute geht es um etwas anderes, nämlich darum, ob Durchschnittsnoten überhaupt einen Sinn ergeben. Wenn das nicht der Fall, ist das Thema NC (= numerus clausus, lat. für abgeschlossene Zahl) im Vergabeverfahren für Studienplätze eigentlich erledigt.

Dafür müssen wir ein wenig Mathematik betreiben:

Schulnoten (auch Zensuren oder Leistungsnoten) sind in Deutschland einheitlich Skalen von sehr gut über gut, befriedigend, ausreichend und mangelhaft bis ungenügend. Man kürzt das mit Ziffern von 1 bis 6 ab. Ziffern sind allerdings noch keine Zahlen. Das Verhältnis von Ziffern zu Zahlen ist dem Verhältnis von Buchstaben zu Wörtern gleich.

Schauen wir uns zunächst einmal die verschiedenen Typen von Skalen an. Das Niveau einer Skala entscheidet darüber, welche mathematischen Operationen auf ihre Elemente angewandt werden können.

  • Nominalskala ist zum Beispiel diese: Paris, Berlin, Düsseldorf, Moskau. Die Reihenfolge ist gleichgültig, ich kann nur Häufigkeiten zählen: 3 Hauptstädte, oder 2 deutsche Städte. Zulässige logische bzw. mathematische Operatoren sind ≠ und =, also gleich und ungleich.
  • Ordinalskala ist zum Beispiel die Bundesliga-Tabelle. Wie der Name schon sagt, kann ich hier eine Reihenfolge, eine Ordnung feststellen; als Operatoren kommen < und > hinzu, also kleiner als und größer als. Der Tabellenplatz sagt aber gar nichts über den Abstand aus. (Bayern München aktuell 20 Punkte vor Borussia Dortmund, andere benachbarte Tabellenplätze unterscheiden sich nur um 3 oder 5 Punkte.)
    Wichtig: Hier sind auch die üblichen Schulnoten einzuordnenDenn auch sie haben nicht den gleichen Abstand von einander. Beispiel: Beim Diktat gibt es für 0 Fehler ein sehr gut, für 1 bis 3 Fehler ein gut, für 3 bis 6 Fehler ein befriedigend usw. Dazu kommt, dass die Fehler ein unterschiedliches Gewicht haben können; zum Beispiel Flüchtigkeitsfehler, Kommafehler, sinnentstellende Fehler usw. Der Leistungsunterschied zwischen sehr gut und gut ist in diesem Beispiel kleiner als der Unterschied zwischen gut und befriedigend.
  • Als Intervallskala kann man die Zahlen auf der Uhr interpretieren. Das Merkmal des gleichen Abstands kommt zu den Merkmalen der Ordinalskala hinzu; die Zeit zwischen 5 und sechs Uhr ist genauso lang wie zwischen 8 und 9 Uhr. Man kann daher mit Zeitdauern die Addition und die Subtraktion durchführen: + und -. 2 Stunden + 3 Stunden = 5 Stunden ist eine sinnvolle und wahre Aussage.
  • Die Verhältnisskala setzt zusätzlich einen Nullpunkt voraus. Ein Beispiel ist das Lebensalter. Als Operatoren kommen x und : dazu, also mal und geteilt durch; auf diesem Skalenniveau kann ich erst multiplizieren und dividieren. Ist der Sohn 36 und der Vater 72 Jahre alt, dann könnten die  beiden Alter dividiert werden: 72 Jahre : 36 Jahre = 2 (eine unbenannte, eine Verhältniszahl).

Wer also unsere Grundrechenarten auf Schulnoten anwendet, kann mangels gleichen Abstands (Ordinalskala) zwischen diesen nur Fehler produzieren. Man kann Zensuren nicht addieren oder subtrahieren, erst recht nicht multiplizieren oder dividieren.

Wer die Durchschnittsnote der Klassenarbeit in Mathematik berechnet, addiert die Noten der ganzen Klasse, teilt sie dann durch die Anzahl der geschriebenen Arbeiten. Man kann sich Fälle ausdenken, in denen die schlechtere Durchschnittsnote einer Klasse  zugerechnet würde, die die bessere durchschnittliche Fehlerzahl erreicht. Das liegt an den Rechenoperationen, die auf dem Niveau einer Ordinalskala nicht zulässig sind.

Wer die Durchschnittsnote des Reifezeugnisses ermitteln will, addiert (unzulässigerweise) Noten und dividiert sie durch die Anzahl der Noten. Hier gibt es die gleichen Einwände.