Warum werden die Abiturnoten immer besser?
So lautete unsere Ausgangsfrage, die wir im ersten Teil noch nicht wirklich in Angriff genommen haben. Da ging es um das Berechnen der Durchschnittsnote beim Abitur. Heute machen wir zunächst mal das Zentralabitur – wenigstens ein bisschen – für diese Entwicklung verantwortlich
Schulen sind unterschiedlich.
Jede Schule ist ein Unikat, auch hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit. Das liegt an ganz verschiedenen Faktoren: Gute und weniger gute Lehrer, gute und weniger gute Schüler, Einzugsgebiet je nach sozialem Status und noch andere Faktoren. Das ist die eine Seite.
Auf dem Weg zum Zentralabitur
Die andere Seite: Die Reifeprüfung (wie auch andere Abschlüsse) soll überall die gleichen Anforderungen stellen, damit für außenstehende Instanzen wie Ausbildungsbetriebe, Hochschulen und mehr die Absolventen verschiedener Schulen vergleichbar sind.
Bonus und Malus beim Numerus clausus
Es gab Zeiten, in denen die Reifeprüfung in Bayern im Schnitt besser ausfiel als in allen anderen Bundesländern. 1973 errechnete man also aus 101.152 Reifezeugnissen bundesweit einen Bundesdurchschnitt und für jedes Land den jeweiligen Landesdurchschnitt an Abiturnoten. Danach wurde bei Studienbewerbern, deren Landesdurchschnitt eine bessere Note aufwies als im Bundesdurchschnitt erreicht wurde, die Differenz auf die individuelle Abiturnote aufgeschlagen („Malus“), im umgekehrten Fall abgezogen. Das Verfahren war Unsinn, denn es berücksichtigte nicht, wie anspruchsvoll die konkrete Schule des Bewerbers war; stattdessen konstruierte man eine real nicht existierende Landes-Durchschnittsschule. (Vgl. hierzu DER SPIEGEL vom 16.07.1973: Abitur – Neue Noten.)
Einheitliche Prüfungsanforderungen Abitur – EPA
Also wurde die Forderung nach einem Zentralabitur immer lauter. Der Hintergrund war auch, dass immer mehr Wege und Schulformen zum Abitur führten: Berufliche Schulen, Gesamtschulen, Gymnasien – jeweils in verschiedenen Ausprägungen. Durchlässigkeiten innerhalb des dreigliedrigen Schulsystems auch vertikal, von der Hauptschule oder der Realschule in die gymnasiale Oberstufe, kamen noch hinzu. Die Berechtigung, die ein Abschluss verlieh, sollte unabhängig von der konkreten Schule und ihrer Schulform erworben werden.
Um die Jahrtausendwende berief die Kultusministerkonferenz (KMK) Arbeitsgruppen aus allen Bundesländern ein, die fachspezifische Anforderungen für das Abitur festlegen sollten, die Einheitlichen Prüfungs-Anforderungen – EPA. Einige Jahre später, im Oktober 2007, erging der Auftrag, diese Anforderungen in Bildungsstandards zu übersetzen, wie sie in den Jahren zuvor für andere Abschlüsse – Ende der Grundschule, Hauptschulabschluss, Mittlerer Bildungsabschluss – erarbeitet worden waren.
Nivellierung auf niedrigem Niveau
Meine These ist: Die Vereinheitlichung führte zu einer Orientierung an den schwächeren Systemen. Ich kann dies mit meiner Erfahrung aus der Mitarbeit in einer Fachgruppe der KMK bei der Erarbeitungen von bundesweit gültigen Bildungsstandards für den mittleren Bildungsabschluss und den Hauptschulabschluss begründen. Diese Gruppe arbeitete von 2002 bis 2004.
Meine Erfahrungen basierten auf Schulen, vor allem Hauptschulen, im ländlichen Raum. Diese waren im Schnitt leistungsfähiger als die Schulen in Ballungsräumen; sie hatten größere Anteile an den Schülerjahrgängen und weniger Integrationsaufgaben zu leisten. Die Kollegen aus Ballungsräumen und Großstädten sahen meine Vorschläge, vor allem meine Aufgabenbeispiele, in der Regel als zu schwer an – im Gegenzug ich deren als zu simpel. Aber sie setzten sich durch mit dem Argument: Das schaffen unsere Schüler nicht.
Da die Maßstäbe niedriger angesetzt wurden, stiegen die Noten in den leistungsfähigeren Schulen. Diese Folge war nicht nur bei Abschlüssen, auch bei PISA-Studien und Vergleichsarbeiten zu beobachten.
Fazit
Auf das Ausgangsproblem bezogen können wir sagen: Die Zentralisierung über Aufgabenpools und einheitliche Prüfungsanforderungen haben vermutlich ihren Teil zum Phänomen der gestiegenen Leistungsnoten im Abitur beigetragen.
Im nächsten Teil werden wir uns mit dem Phänomen des geänderten Schulwahlverhaltens und seinem Anteil an der wundersamen Notenverbesserung befassen.