Was ist eigentlich Ziel der Erziehung (in der Schule)?

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Wenn man Kinder erzieht (oder bildet oder unterrichtet), ist es gut, wenn man das Ziel kennt, auf das hin erzogen (gebildet, unterrichtet) werden soll. Sonst geht es dem Lehrer so, wie Robert F. Mager es in seinem berühmt-berüchtigten Buch Lernziele und Unterricht (auf Deutsch ab Anfang der siebziger Jahre in mehreren Auflagen im Beltz-Verlag in Weinheim erschienen) ein Seepferdchen hat erleiden lassen: Es landet im Rachen eines Haifisches, weil es keine klare Vorstellung von seinem Ziel hat. Die Quintessenz lautet: „Wer nicht weiß, wo er hin will, darf sich nicht wundern, wenn er ganz woanders ankommt.“

Die Geschichte kann man hier nachlesen.

Erziehungsziele laut Verfassung des Landes NRW

Weil es hier um die Schule geht, wollen wir einmal nachschauen, wie die Landesverfassung das sieht. Der ehemalige bayerische Kultusminister Spaenle hat in einem Interview zu den Kreuzen in bayerischen Behörden auf die Landesverfassung und deren Erziehungsziel verwiesen.

Hier die Formulierung aus der nordrhein-westfälischen Verfassung:

Artikel 7 

(1) Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung.

(2) Die Jugend soll erzogen werden im Geiste der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit, zur Duldsamkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen, zur Verantwortung für Tiere und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, in Liebe zu Volk und Heimat, zur Völkergemeinschaft und Friedensgesinnung.

In der Zeit meines Lehrauftrages an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster habe ich die künftigen Lehrer wiederholt mit dieser Zielvorgabe konfrontiert. Die konnten sich mit vielem anfreunden, aber die ersten drei Worte haben sie überrascht: „Ehrfurcht vor Gott“ als „vornehmstes Ziel der Erziehung“ auch in der öffentlichen Schule – darüber mussten sie reden. Manche fanden das völlig anders als die Zielsetzung, mit der sie ihr Studium „auf Lehramt“ begonnen hatten.

Vielleicht traf die Fraktion der Partei „Die Linke“ ihre Vorstellungen eher:

In der Landesverfassung „Ehrfurcht vor Gott“ übersehen

Offenbar hat die Landesregierung bei ihrer Prüfung der Landesgesetze die Landesverfassung vergessen, diese hinsichtlich diskriminierender Inhalte zu untersuchen.

Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen enthält im Dritter Abschnitt – Schule, Kunst und Wissenschaft, Sport, Religion und Religionsgemeinschaften den Artikel 7 Absatz (1) „Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung.“

Die Fraktion DIE LINKE hält es für sinnvoll und notwendig, dass in der Verfassung Ziele für die Erziehung formuliert sind. Es ist die Aufgabe einer Verfassung Wertvorstellungen zu definieren.

Eine Wertvorstellung „Ehrfurcht vor Gott“ schließt aber Menschen mit nicht-monotheistischen Glaubensvorstellungen sowie konfessionslose Menschen aus.

Historisch geht die Passage im Artikel 7 „Ehrfurcht vor Gott“ auf die christlichen Wertvorstellungen der Verfassungsväter und -mütter zurück und enthält damit eine klare Ausrichtung auf eine christliche Erziehung.

 Quelle: Erklärung der Fraktion „Die Linke“ zu Art. 7 der Landesverfassung NW
aufgerufen am 5. Mai 2018

Kurz vor Weihnachten 2011 stellte „Die Linke“ einen Antrag auf Änderung der Landesverfassung: „Ehrfurcht vor Gott“ sollte als Erziehungsziel entfallen. Der oben zitierte Text ist Teil der Begründung. Alle anderen Fraktionen – CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sprachen sich für die Beibehaltung aus. Alle Reden im Landtag zu diesem Antrag und der Gesetzentwurf selbst sind hier nachzulesen.  Besonders lesenswert ist der Beitrag von Prof. Thomas Sternberg, damals Abgeordneter des Landtags, heute Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.

Erziehungsziele in den Verfassungen einiger weiterer Länder

Wie sehen andere Bundesländer das? Gibt es ähnliche Formulierungen? In Schleswig-Holstein musste der Landtag 2016 aufgrund einer Volksinitiative darüber entscheiden, ob ein Gottesbezug überhaupt in die Landesverfassung (wieder) aufgenommen werden sollte. Es kam nicht dazu.

Eine kleine Auswahl:

Baden-Württemberg Artikel 12 

(1) Die Jugend ist in Ehrfurcht vor Gott, im Geiste der christlichen Nächstenliebe, zur Brüderlichkeit aller Menschen und zur Friedensliebe, in der Liebe zu Volk und Heimat, zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit, zu beruflicher und sozialer Bewährung und zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung zu erziehen.

(2) Verantwortliche Träger der Erziehung sind in ihren Bereichen die Eltern, der Staat, die Religionsgemeinschaften, die Gemeinden und die in ihren Bünden gegliederte Jugend.

Brandenburg Artikel 28
(Grundsätze der Erziehung und Bildung) 

Erziehung und Bildung haben die Aufgabe, die Entwicklung der Persönlichkeit, selbständiges Denken und Handeln, Achtung vor der Würde, dem Glauben und den Überzeugungen anderer, Anerkennung der Demokratie und Freiheit, den Willen zu sozialer Gerechtigkeit, die Friedfertigkeit und Solidarität im Zusammenleben der Kulturen und Völker und die Verantwortung für Natur und Umwelt zu fördern.

Saarland Artikel 26 

Unterricht und Erziehung haben das Ziel, den jungen Menschen so heranzubilden, dass er seine Aufgabe in Familie und Gemeinschaft erfüllen kann. Auf der Grundlage des natürlichen und christlichen Sittengesetzes haben die Eltern das Recht, die Bildung und Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen.

Die Kirchen und Religionsgemeinschaften werden als Bildungsträger anerkannt.

Berlin Artikel 20 

(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung. Das Land ermöglicht und fördert nach Maßgabe der Gesetze den Zugang eines jeden Menschen zu den öffentlichen Bildungseinrichtungen, insbesondere ist die berufliche Erstausbildung zu fördern.

Wie man sieht – eine bunte Mischung. Die Bundesländer, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, haben eher den Gottesbezug grundsätzlich oder auch ganz konkret im Zusammenhang mit Bildung und Erziehung in die Verfassung aufgenommen. Andere – wie das Saarland – erwähnen zwar Gott nicht, aber nehmen Bezug auf christliche Werte. Berlin formuliert überhaupt keine Ziele, außer „die berufliche Erstausbildung zu fördern“. (Als Pädagoge kann man da nur staunen.) Die Bundesländer, die auf dem Gebiet der DDR entstanden sind, haben eher keinen Gottesbezug, auch nicht bei den Erziehungszielen, wenngleich der Glaube anderer als zu achten beschrieben wird; damit ist aber eher ein Erziehungsziel beschrieben, das man Toleranz nennen könnte.

Sieben Bundesländer haben überhaupt einen Gottesbezug in ihrer Verfassung, neun haben dies nicht.

Grenzen der Erziehungsziele mit Gottesbezug

Ich konnte meine Studenten beruhigen, sie brauchten sich nicht zu verbiegen, wenn sie den Auftrag „Ehrfurcht vor Gott“ nicht zum Ziel ihrer Bildungsarbeit machen konnten oder wollten: Das Grundgesetz des Bundes gilt in der Formulierung der Grundrechte auch in Nordrhein-Westfalen:

Artikel 4
Glaubens- und Gewissensfreiheit
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

Es gilt die positive wie die negative Religionsfreiheit. Nicht einmal ausgebildete Religionslehrer können gezwungen werden, gegen ihr Gewissen Religionsunterricht zu erteilen. – Aber das ist noch ein anderes Thema.