Bildung und Religion

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Buchbesprechung zu Dietrich Benners gleichnamigem Buch – erschienen in der Pädagogischen Rundschau Heft 1/2016

Benner, Dietrich: Bildung und Religion. Nur einem bildsamen Wesen kann ein Gott sich offenbaren. Ferdinand Schöningh, Paderborn 2014. 150 S. (Religionspädagogik in pluraler Gesellschaft. 18)

Der Untertitel „Nur einem bildsamen Wesen kann ein Gott sich offenbaren“ enthält Schlüsselbegriffe zum Verständnis des Buches, dessen präzise Sprache und klare Systematik sich dem erschließt, der sich auf den nicht immer einfachen Weg durch die Texte macht, die anlassbezogen unterschiedliche Themenschwerpunkte setzen. Dietrich Benner, emeritierter Professor  der Humboldt-Universität Berlin für Allgemeine Erziehungswissenschaft,  geht es dabei nicht um spekulative Theologie, sondern um „Bildsamkeit“ als pädagogischen und „göttliche Ebenbildlichkeit des Menschen“ als theologischen Begriff. Erziehungs- und bildungstheoretische Fragestellungen, Erfordernisse der kulturellen Tradierungsprozesse und Probleme einer angemessenen Institutionalisierung religiöser Erziehung und Bildung in öffentlichen Schulen leiten ihn dabei. Immer wieder geht es um die Beschreibung des jeweils Eigenen der Religion in Abgrenzung von anderen Praxisbereichen, damit auch um Gefahr und Vermeidung von Fundamentalismus; religiöse Bildung und Erziehung bezieht Benner auf das Proprium der Religion wie das der Bildung, Religionsunterricht als Fach an öffentlichen Schulen darf nicht missionieren, sondern soll zu Analyse, Reflexion und Wahl anhalten. Schließlich gibt er wichtige Hinweise und Bewertungen im Rahmen der politischen Diskussion um Alternativen zum Religionsunterricht als Schulfach.

Neun Beiträge, sechs davon schon anderer Stelle veröffentlicht, beschreiben und reflektieren die „Beziehungen zwischen Erziehung, Bildung und Religion“ im ersten Teil und eine „Begründung von Religionsunterricht als Unterrichtsfach an öffentlichen Schulen“ im zweiten. Sie geben so auch einen Überblick über die Beschäftigung des Autors mit religionspädagogischen Fragestellungen im Laufe der letzten vierzig Jahre. Es gibt immer wieder Überschneidungen, aber jeweils verschiedene Ansätze.

Religion gehört zur Bildung

Religion gehört für Benner zur Bildung. Sie ist ein bildungsrelevanter Praxisbereich neben Pädagogik, Politik, Kunst, Arbeit und Ethik. Die Bezüge untereinander sind vielfältig, kein Bereich hat prinzipiell Vorrang vor den anderen, gleichwohl sind Kollisionen möglich. Mit Blick auf sein Thema ist dem Autor das jeweilige Proprium des pädagogischen wie des religiösen Handelns wichtig. Die Grundbegriffe „Bildsamkeit“ und „Aufforderung zur freien Selbsttätigkeit“  einerseits und die „Endlichkeit“ von Menschen und das „Verhältnis der Endlichkeit zum Absoluten“ andererseits sind die Schlüsselwörter der Propria. Mit „Bildsamkeit“ bezeichnet Benner im Anschluss an Herbart, Humboldt und Schleiermacher die Fähigkeit zu lernen. Lernen geschieht unmittelbar durch Erfahrung oder wird durch Unterricht lernbar. „Glaube“ zählt für Benner zur ersten, „Theologie“ zur zweiten Kategorie. „Bildsamkeit“ besagt aber auch, dass der Mensch keine ihm von der Natur vorgegebene Bestimmung hat, sondern sich in Wechselwirkung mit der Welt bilden muss, und in der „Gottesebenbildlichkeit“ sieht Benner den Grund dafür, dass der Mensch „selbst- und weltbildend tätig werden … kann.“

„Bildung“ ist für Benner „Arbeit des Menschen an seiner Bestimmung“, und dazu gehört die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit und deren Reflexion. Daraus folgert er die Besinnung auf die Abhängigkeit des Menschen vom Absoluten als genuinen Horizont menschlicher Bildung. Und andererseits ist Bildung für die Entwicklung von Religiosität von Bedeutung: Gerade in schulischen Lehr- und Lernprozessen sieht Benner die Möglichkeiten der Tradierung und Weiterentwicklung religiöser Lebensformen, wobei er ihre Grenzen nicht übersieht; hier nennt er die „Transformation religiöser Praktiken und Glaubensinhalte in Gegenstände unterrichtlicher Lehr-Lernprozesse“, die zu mehr Distanz führt und auch mit der Gefahr verbunden ist, dass das vermittelte Wissen nichts mehr mit „Religion als Gefühl der Abhängigkeit vom Absoluten“ zu tun hat.

Abgrenzung „fundamentaler“ von „fundamentalistischen“ Konzepten

Die Unterscheidung von „fundamental“ und „fundamentalistisch“ ist Benner mit Blick auf aktuelle wie auch auf historische Ausprägungen von Religion wichtig. Er sieht die Gefahr des Fundamentalismus in einer Praxis, die sich selbst als Hüterin des Absoluten missversteht und ihr Gefühl mit dem Begriff des Absoluten gleichsetzt. „Fundamentalistisch“, so Benner, „können solche Auslegungen genannt werden, die nicht zwischen dem Absoluten und seiner Deutung in Sprache, Symbol und Ritus unterscheiden“. Im Anschluss an Schleiermachers Reden „Über die Religion“ fordert Benner mit Blick auf die prinzipielle Gleichrangigkeit der Handlungsbereiche: Der Mensch „soll alles mit Religion thun, nichts aus Religion“, letzteres wäre in der Gefahr, fundamentalistisch zu sein. Wie der „Beutelsbacher Konsens der Kultusministerkonferenz von 1968 den gesamten Bereich der politischen Bildung unter ein Überwältigungs- und Indoktrinationsverbot sowie ein Pluralitäts- und Kontroversitätsgebot“ stelle, so lasse sich Analoges vom öffentlichen Religionsunterricht sagen – auch dies als Impuls gegen einen Fundamentalismus, gleich welcher Religion. Gefahren des Fundamentalismus und deren Bearbeitung im Kontext religiöser Bildung und Erziehung werden an etlichen Stellen des Buches thematisiert, weit über das Kapitel hinaus, das  sich ausdrücklich und ausführlich hiermit beschäftigt; der Leser spürt die Sorge, die sich aus aktuellen Anlässen speisen mag.

Drei Typen von „Tradierung“

Andererseits gibt es Bedeutungsverluste von Religionen und Kirchen. In der Folge schwinden religiöses Wissen und religiöse Praxis. Traditionen überhaupt, so auch religiöse, brauchen eine Weitergabe, das „Tradieren“, um Bestand zu haben. Dass Erziehung hierbei eine bedeutsame Rolle spielt, liegt auf der Hand. Benner unterscheidet drei Formen: Traditionen können erstens an die nächste Generation unverändert oder zweitens zugleich bewahrend und verändernd weitergegeben werden. Ein dritter Typ von Tradierung ist dann gefordert, wenn es um „Erfahrungen, Wissensbestände und Könnenshorizonte“ geht, die im Zusammenleben der Menschen nicht mehr präsent sind – die Achtung und Einhaltung des staatlichen Gewaltmonopols nach einem Bürgerkrieg zum Beispiel oder die (Wieder-)Einführung der Gewaltenteilung nach einer Diktatur, hier spricht Benner von einer „induktiven und innovatorischen Tradierung“.

Diesen dritten Typ sieht er auch in der religiösen Bildung angesichts des Bedeutungsverlustes der Offenbarungsreligionen gefordert. Für die Aufgabe einer „innovatorischen Erziehung im Kontext unterbrochener Tradierung“ hält er nicht, die „nachfolgende Generation in Übereinstimmung mit verloren gegangenen Üblichkeiten zu bilden“, auch nicht darin, gewissermaßen stellvertretende, „neue Üblichkeiten“ für die gesellschaftliche Praxis zu erfinden, sondern darin, „in Auseinandersetzung mit Üblichkeiten Fremdheitserfahrungen“ zu kultivieren, „in denen geschichtlich Vergessenes auf neue Weise erinnert wird“.

Aus der an verschiedenen Stellen beschriebenen Situation eines Rückgangs von religiösen Erfahrungen in Familien und Religionsgemeinschaften ergibt sich die Frage nach der Legitimation von Religion als Unterrichtsfach, eine Legitimation, die in der Gesellschaft, auch in der Politik zunehmend bestritten wird.

Religionsunterricht als Unterrichtsfach an öffentlichen Schulen

Neben diesen grundsätzlichen Erwägungen bildet der Religionsunterricht als Unterrichtsfach an öffentlichen Schulen samt seiner Begründung den zweiten gewichtigen Schwerpunkt, der für aktuelle Diskussionen über den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen und Alternativen relevant ist. Auch hierzu setzt Benner bei Schleiermachers Reden „Über die Religion“ an. Von ihm übernimmt er die Abgrenzung zwischen Metaphysik, Ethik und Religion und kommt zu dem Schluss, dass diese Standortbestimmung aus heutiger Sicht nicht nur eine Abgrenzung der Religion von Pädagogik und Politik beinhaltet,  sondern auf das Verhältnis zu den Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften insgesamt zu übertragen ist. Damit, so Benner, schützt Schleiermacher einerseits außerreligiöse Bereiche (Metaphysik, Ethik, Pädagogik, Politik und Kunst) vor einer Bevormundung durch Religion, zugleich auch die Religion vor Übergriffen der Metaphysik und der Wissenschaften. Auch hier betont Benner die Bedeutung dieser Verhältnisbestimmung gegen ein fundamentalistisches Verständnis von Religion.

Das Verhältnis zwischen Bildung und Religion wird wechselseitig verstanden: Erziehung hat unter anderem die Aufgabe, Heranwachsende auf den Eintritt in die großen Lebensbereiche von Staat und Kirche vorzubereiten; der Angewiesenheit der Bildung auf Religion „als einem unverzichtbaren Horizont menschlichen Fühlens, Denken, Wollens und Handelns“ steht die Angewiesenheit der Religion auf Erziehung und Bildung gegenüber. Für Schleiermacher lag der Schwerpunkt der religiösen Erziehung in Familie und Gemeinde, für ihn waren verschiedene Unterrichtsfächer – so auch Religionsunterricht – nur für eine begrenzte Zeit erforderlich. Mit anderen Zeitgenossen ging er davon aus, dass nach Alphabetisierung einer ganzen erwachsenen Generation ein Unterricht in Lesen, Schreiben und Rechnen nicht mehr erforderlich sei, sondern wie die Muttersprache und eben auch Religion zuhause und im gesellschaftlichen Zusammenleben erlernt werden könnten.

Für die Gegenwart sieht Benner dies natürlich anders: Die Vermittlung von Religion zwischen den Generationen – so Benner – sei jedenfalls auf eine religiöse Erziehung und Sozialisation und auf bildende Unterweisung  angewiesen. Was Schleiermacher nicht für möglich gehalten habe, sei eingetreten: Das Religiöse sei aus der Lebenspraxis der Menschen weitgehend verschwunden. Kirchen und auch Familien seien für viele keine Institutionen mehr, in denen sie religiöse Umgangsformen praktizieren. Benner bewertet dies nicht nur defizitär. Dem Verlust von Religion stellt er den Zugewinn an individueller und gesellschaftlicher Freiheit gegenüber. Die fortgeschrittene Trennung von Staat und Kirche, die Durchsetzung positiver und negativer Religionsfreiheit und die (von Schleiermacher einst geforderte) Unterscheidung zwischen Wissenschaft, Ethik und Religion seien durch Verfassung gesichert. Mit dieser Entwicklung gehe nun offenbar einher, dass Religion auf eine Tradierung durch öffentliche Schulen angewiesen sei. Benner hält diese trotz der weit zurückreichenden Traditionen religiöser Unterweisung für nur unzureichend vorbereitet.

Er unterscheidet zwischen Konzepten von religiöser Seelsorge, Katechetik und Gemeindetheologie einerseits und Konzepten für den öffentlichen Religionsunterricht an Schulen andererseits. „Öffentlicher Religionsunterricht kann nicht aus der Sicht eines Predigers erteilt werden, der (zu) einer religiösen Lebensführung aus der Wahrheit des Glaubens aufruft.“ Unverzichtbar ist aus Benners Sicht, dass Religionsunterricht an öffentlichen Schulen sich auf ein Wissen bezieht, das gelehrt, gelernt, gewusst, geprüft und beurteilt werden kann. Die Vermittlung müsse so geschehen, dass sich in den Schülern eine „religiöse Deutungs- und Partizipationskompetenz entwickeln kann“. Er wendet sich dabei gegen Religionsunterricht als vergleichende Religionskunde und -wissenschaft, wie auch Fremdsprachenunterricht nicht als Fremdsprachenkunde, sondern als Englisch-, Französisch- oder Lateinunterricht betrieben werde. Auch der Religionsunterricht – wie andere Fächer – beginne beim Bekannten und vermittle von dort aus noch nicht Bekanntes. Religiöse Erfahrungen in einer konkreten geschichtlich überlieferten Religion gehörten zu den unabdingbaren Voraussetzungen für schulischen Religionsunterricht, wie das Erlernen der Muttersprache vor dem schulischen muttersprachlichen Unterricht. Wo es diese Erfahrungen nicht gibt, müssten sie durch schulische Veranstaltungen angebahnt werden, nicht mit dem Zweck, Kinder und Jugendliche in den Vollzug des Glaubens und religiöse Praktiken einzuführen, sondern ihnen Vorstellungen und Kenntnisse über religiöse Praktiken zu vermitteln, an die Unterricht anknüpfen kann. Eine stufenweise Realisierung eines nach Benners Ansicht legitimierten Religionsunterrichts bleibt in Bezug auf die religiösen Erfahrungen, die seine Grundlage bilden, künstlich, ihre Erschließung darf nicht die Form einer Praxis annehmen – wie auch beispielsweise in der Sexualkunde oder der Politischen Bildung. Die Übergänge in den Glauben finden im außerunterrichtlichen Leben statt.

Es geht Benner um religiöse Grundkenntnisse, um den Erwerb der wiederholt beschriebenen „Deutungs- und Partizipationskompetenz“, um Reflexion und Analyse. Der Lehrer tritt nicht als Missionar auf, der Religionsunterricht ist nicht die Inszenierung von religiösen Erweckungserlebnissen. „Aufgabe des Religionsunterrichts ist es, am Beispiel und im Medium einer historisch überlieferten Religion elementare religiöse Erfahrungen zu thematisieren, in religiöse Deutungsmuster einzuführen und in Auseinandersetzung mit der Geschichte der jeweiligen Religion das Bewusstsein dafür zu schärfen, worin die Leistungen und die Grenzen des religiösen Erfahrungsraumes liegen.“ Dieser Satz fasst zusammen, worin Benner den spezifischen Auftrag des Religionsunterrichtes an öffentlichen Schulen sieht, in einem Beitrag, der Religion und religiöse Erfahrung zum Gegenstand, zum Objekt im Unterricht, zum Bildungsinhalt macht. Dabei steht ein Kompetenzerwerb der Heranwachsenden im Mittelpunkt, der zur eigenen Besinnung, zur selbständigen Entscheidung führen soll und keinesfalls in Indoktrination und „Missionarismus“ landet. Zu den Kompetenzen gehört auch ein Problembewusstsein dafür, wann Religion in ebendiese Indoktrination umzuschlagen droht. Den Schülern soll „im Horizont einer überlieferten Religion und in Auseinandersetzung mit anderen Religionen“ bewusst werden, dass das Proprium des Religiösen in der Erfahrung und Reflexion des Verhältnisses des Endlichen zum Unendlichen liegt.

Dass Benner dem Religionsunterricht an der öffentlichen Schule das Wort redet, hat mit seiner Auffassung von der Öffentlichkeit und der Privatheit von Religion zu tun. Eine Religion, die nur öffentlich ist, sei Staatsreligion, in der es weder positive noch negative Religionsfreiheit gebe; eine Religion, die nur privat ist, finde unter den Bedingungen der Verfolgung oder des Bedeutungsverlustes statt. Religion, die sich öffentlich und privat auch in gemeinsamen Räumen zeigt, ist die Bedingung der Legitimation einer Institutionalisierung von Religionsunterricht.

LER (Lebensgestaltung – Ethik – Religion) keine Alternative zum Religionsunterricht

In den geltenden Richtlinien und Lehrplänen der Bundesländer findet Benner die von ihm beschriebenen Ansprüche vielfach nicht erfüllt. Von hierher kritisiert er auch Bestrebungen zu Beginn des Jahrhunderts, mit Hilfe von Klafkis aktualisierten Schlüsselproblemen Modelle wie das brandenburgische Unterrichtsfach LER (Lebensgestaltung – Ethik – Religion) zu legitimieren. Weder ein Fach LER ohne ausgewiesene religiöse Bindung, noch ein „allgemeiner Religionsunterricht“ mit einer solchen Bindung noch ein „konfessioneller Religionsunterricht – Ethik“ kann nach Auffassung Benners seine Inhalte von den acht „Schlüsselproblemen“ ableiten (z. B. „ökologische Problematik“, „alte und neue Kriegsgefahren“, „wachsende Weltbevölkerung“ …). Für Benner muss das Proprium der Religion ausschlaggebend sein, nicht eine „kategorial beliebige und reflexiv unkontrollierte Verdichtung von Fragen unterschiedlichster Art zu vermeintlichen Schlüsselproblemen …“. An dieser Stelle zeigt er auch, welchen Einfluss pädagogische, in diesem Falle religionspädagogische, Grundsatzüberlegungen auf konkrete schulpolitische Entscheidungen der Länder haben können. Und dass sie zumindest wahrgenommen werden, dokumentiert er in seiner Rolle als Sachverständiger in der Anhörung im Berliner Abgeordnetenhaus, in der es um LER ging. Auch als Gutachter für den Zürcher Bildungsrat nahm er Stellung zu schulpolitischen Konzepten des Faches Religion, hier zu einer Evaluation des Ansatzes „Religion und Kultur“. Das Statement, das er in Berlin vortrug, und den Zürcher Vortrag findet man im Buch, für den Evaluationsbericht ist die Fundstelle im Internet angegeben.

Resümee

Wie Schleiermacher ist Benner der Auffassung, dass Religion als wesentlicher „Praxisbereich“ zur Bildung gehört. Religion ist vice versa auf Bildung angewiesen, weil die Tradierung den Fortbestand und die Weiterentwicklung der Religion sichert.

Religionsunterricht ist eine Aufgabe des öffentlichen Schulwesens. Benner hat hier ein dezidiertes Verständnis von seiner Aufgabe, auch in einer Gesellschaft, in der Glaube und Religion immer weniger sichtbar sind.  Dieses Schulfach ist anders zu verstehen als Gemeindekatechese innerhalb der Religionsgemeinschaft. Aus seiner Grundlegung über „Religion“ und „Bildung“ und der Aufgabe des Religionsunterrichts folgert Benner, dass es nicht darum geht, Heranwachsende zur Affirmation der Dogmatik und Lehre oder gar der Herrschaftsstrukturen einer (fundamentalistischen) Kirche zu erziehen; es geht vielmehr um den Erwerb von „Deutungs- und Partizipationskompetenz“, um Analyse, Reflexion und auch um Wissen. Zu einer angemessenen Betrachtung des Endlichen in seinen Beziehungen zum Absoluten gehören auch die Erinnerungen an Irrwege und Irrtümer, auch unterdrückte Traditionen und Verbrechen, die Angehörige von Religionen begangen haben. Schließlich: „Die Aufgaben und Grenzen des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen sind nicht die Aufgaben und Grenzen religiöser Erziehung und Bildung … Religion und Bildung haben über den Unterricht hinausgehende Möglichkeiten …, die allerdings weniger in Schule und Schulleben, als vielmehr im Leben der Religionsgemeinschaften selbst zu verorten sind.“

Benners Ausführungen sind auf Grundgedanken von Friedrich Schleiermacher bezogen, sowohl ihnen folgend als auch weiterführend und dabei aktualisierend. Aus den 200 Jahre alten Veröffentlichungen zitiert er immer wieder, sowohl Thesen zur Religion wie auch zur Pädagogik aufgreifend. Dessen Gedanken zu Bildung und Erziehung muten dabei überraschend aktuell an: Die Heranwachsenden sollen auf eine selbsttätige Mitwirkung an der menschlichen „Mitgesamttätigkeit“ vorbereitet werden. Konsequent weist Benner in seinen Ausführungen zu „LER“ darauf hin, dass Einfluss auf die „Lebensgestaltung“ nicht Ziel eines pädagogisch zu verantwortenden Unterrichts sein könne, vielmehr gehe es um die Bildung der Urteilskraft, damit um die Fähigkeit zu wählen und sich zu entscheiden; diese Zielsetzung ist eine wesentliche Säule in Benners Konzept. In einem Vortrag über sein Gutachten zur Evaluation einer Konzeption des neuen Schulfaches „Religion und Kultur“ in Zürich weist Benner einen lediglich über Religion informierenden Unterricht als Alternative ebenso und mit gleicher Argumentation zurück.

Benner legt in seiner Systematik das Bild vom Menschen zugrunde, dessen Freiheit und Offenheit ihm die Möglichkeit geben, seine Bestimmung selber hervorzubringen. Erzieherische und bildende Prozesse müssen dieser Freiheit gerecht werden, daher auch in Strukturen stattfinden, die sie achten.

Obwohl im vorliegenden Buch Texte zusammengestellt sind, die zu verschiedenen Zeiten in unterschiedlichen Kontexten erstellt wurden, kann der Leser die einzelnen Beiträge im Rahmen einer konsequent verfolgten Systematik lesen. Die öffentliche, pädagogische und politische, Diskussion über die angemessene Gestaltung von Ethik- oder Religionsunterricht und in welchem Verhältnis diese zueinander stehen können und sollen, kann durch Benners Gedanken und Hinweise befruchtet werden. Hier entfaltet das Buch konkrete Handlungsrelevanz.