Der Klassiker: Das Zimmer, in das der Beamte in Loriots berühmtem Sketch geführt wird, ist ganz in Ordnung: Regal, Nippes, Bilder, Blumen, Tischchen, Sitzmöbel. Innerhalb von drei Minuten und zehn Sekunden stellt der Besucher, der noch warten muss, ein perfektes Chaos her. Auslöser ist ein kleines Bild, das schief hängt. In einer Kettenreaktion wird das Bemühen des Protagonisten, die Ordnung wieder herzustellen, zu einer mittleren Katastrophe. Wer es noch einmal ansehen möchte, klicke hier.
Fällt Ihnen, verehrte Leserinnen und Leser, jetzt die Pankratiusschule ein? Wissen Sie noch, wie alles anfing?
Ausgangspunkt
Zu Beginn des Jahres 2017 berichtete die Pankratiusschule über einige Kinder, die über Kopfschmerzen klagten. Der Verdacht kam auf: Könnte die Raumluft in der Schule die Ursache sein? Roch es in einigen Räumen nicht seltsam? Im weiteren Verlauf befasste sich der Schulträger – Verwaltung, Ausschüsse und Rat – mit dieser Thematik. Es wurden Raumluftproben genommen und ein Institut im Ruhrgebiet als Gutachter eingeschaltet. Im Ergebnis zeigte sich ein eher geringer Sanierungsbedarf. Auch der Kreis Borken, konkret das Gesundheitsamt, schloss sich dieser Meinung an.
Erste Stufe
Nun wurde heftig diskutiert: Über die Qualifikation des beauftragten Institutes, über weitere Mängel und mögliche Gefahrstoffquellen. Am Schulträger anscheinend vorbei wurden „eigeninitiativ“ Proben genommen, diesmal nicht aus der Raumluft, sondern vom Parkettboden der Aula. Zwei Privatpersonen, zufällig auch Mitglieder des zuständigen Ausschusses des Rates (Ausschuss für Generationen, Familie, Bildung, Kultur und Sport), beauftragten zu diesen Proben ein Gutachten bei einem anderen Institut. Ein Vorgang, der nicht nur als Stilfrage zu bewerten ist.
Auch die in diesem Gutachten festgestellten Mängel stellten sich als grundsätzlich beherrschbar dar.
Soweit hatte der Schulträger seine Verantwortung wahrgenommen. Hinweise auf mögliche Schadstoffe im Baukörper der Schule sollten in der Folge aufgegriffen und die zweifelsohne vorhandenen Mängel abgestellt werden. Die Rede war zunächst von einem Finanzbedarf von 1,2 Millionen Euro.
Zweite Stufe
Obwohl in den Gutachten kein ursächlicher Zusammenhang zwischen Beschwerden und möglicher Schadstoffbelastung festgestellt oder für wahrscheinlich gehalten wurde, wohl aber an einigen Stellen schädliche Substanzen gefunden wurden – etwa im Fußboden der Aula –, kam die Schule nicht zur Ruhe. Die Elternschaft (die es im Schulgesetz als Gremium nicht gibt) und nicht die eigentlich zuständige Schulkonferenz übergab der Stadtverwaltung eine Liste über Mängel, die in Teilen wenig mit den ursprünglichen Beschwerden über gesundheitliche Probleme gemein hatte. Zitat: „Der Fußboden knarrt teilweise und beeinträchtigt die Raumakustik.“ Oder: „Defekte Möbel, wackelige Stühle.“ Die Zielsetzung neue Schule zeichnete sich ab.
Dritte Stufe
Nach einem ersten Entwurf zur Sanierung der Schule, den ein Gescheraner Architekt fertigte, der auch eine bessere räumliche und konzeptionelle Ausstattung vorsah, waren Kosten von 3,2 Millionen im Raum. Damit sollte auch schon eine Erweiterung finanziert werden. Nun nahmen Erwägungen über einen kompletten Neubau Fahrt auf, im politischen Raum besonders forciert von der FDP-Fraktion.
Die Raumnot entspannte sich zumindest vorerst durch die Schulwahl der Eltern zum folgenden Einschulungstermin: Im Gefolge der anhaltenden Diskussionen und mittlerweile auch Streitigkeiten über die (baulichen) Mängel der Schule und ihr weiteres Schicksal wurden für das Schuljahr 2018/19 deutlich weniger Kinder angemeldet.
Vierte Stufe
Im März 2018 war in der Berichterstattung über das Projekt zu lesen, dass das vorliegende „Konzept völlig unzureichend“ sei. Im Text hieß es dann, das Schulamt des Kreises Borken habe Bedenken zum baulichen und pädagogischen Konzept der Sanierung der Pankratiusschule angemeldet. Dazu muss man wissen, dass das Schulamt des Kreises Borken in diesem Zusammenhang nichts, aber auch wirklich gar nichts zu melden hat: Es ist ausschließlich für die Schulen zuständig, deren Träger der Kreis Borken ist – also berufsbildende Schulen und Förderschulen, soweit sie nicht andere Träger wie zum Beispiel die Caritas haben.
Neben dem Schulamt des Kreises Borken gibt es noch das Schulamt für den Kreis Borken. Das ist keine Kreis– sondern eine Landesbehörde als untere Schulaufsichtsbehörde, die kollegial von einer Doppelspitze geleitet wird, die aus den schulfachlichen Schulaufsichtsbeamten (Schulräte und Schulamtsdirektoren) und dem Landrat besteht; für Schul(neu)bauten sind beide in dieser Funktion nicht zuständig. Ein Schulrat oder Schulamtsdirektor kann als gelernter Lehrer schulfachliche Aussagen über pädagogische Konzepte heutiger Schularbeit treffen, für die architektonischen Schlussfolgerungen daraus sind Architekten da, die vom Schulträger beauftragt werden. (Der Autor dieses Posts weiß wovon er redet: Er war fünf Jahre als Schulrat im Schulamt für den Kreis Warendorf und fast zehn Jahre als Schulamtsdirektor im Schulamt für den Kreis Borken tätig.) Der Landrat oder ein vom ihm beauftragter Vertreter ist übrigens für die verwaltungsfachlichen Aufgaben zuständig (Beihilfe, rechtliche Fragen, Aktenführung, nichtschulfachliches Personal und mehr).
In diesem Zusammenhang wird in der Berichterstattung ein Brief von Eltern zitiert, der wieder nicht von der Schulkonferenz stammt. Darin wird u. a. von „gültigen Leitlinien“ für die Größe von Klassenräumen gesprochen, gegen die in der Planung verstoßen worden sei. Diese sind seit Ende 2010 nicht mehr gültig. Der Städtetag NRW hat die ersatzlose Streichung wiederholt moniert. Architekten, die Schulen bauen, greifen noch gerne darauf als Anhaltspunkte zurück.
Fünfte Stufe
Damit war der Boden für verschiedene Neubau-Ideen der Pankratiusschule bereitet. Ich will nicht alle Feinheiten nachzeichnen; es läuft darauf hinaus, dass ein anderes Architekturbüro beauftragt wurde, nachdem auch im weiteren Verlauf immer wieder Wünsche und Vorschläge in den Prozess eingespeist worden waren. Diese bezogen sich überwiegend auf die Raumplanung und kamen wieder von allen möglichen Seiten; sinnvollerweise bündelte die Verwaltung die diversen Wortführer aus Schule, Elternschaft, Verwaltung und Politik in einem Arbeitskreis.
Aus verschiedenen, auch finanziellen, Erwägungen kamen die Befürworter eines Neubaus nicht oder nur im Rahmen eines Anbaus ans Ziel. Man will (Stand heute) das ehemalige HJ-Heim, später als „kleines Amt“ eine Nebenstelle des alten Rathauses und derzeit die Bleibe von Ganztags- und Übermittagbetreuung, abreißen und es durch einen neuen Flügel des Hauptgebäudes ersetzen, das selbst auch saniert und renoviert wird. Die zuständigen Ausschüsse des Rates, der für Schulfragen und der für Infrastrukturfragen zuständige, segneten das Raumkonzept in einer gemeinsamen Sitzung schließlich ab.
Am Ende (?) rechnet man nun mit über 6 Millionen Euro Kosten.
Sechste Stufe
Als zu erkennen war, dass eine größere Baumaßnahme anstand, kam schon früh die Frage auf, wo die Schüler in der Umsetzungsphase bleiben sollten. Eigentlich sollte die Maßnahme im Schuljahr 2018/19 durchgeführt werden, und neben anderen Varianten war an eine Unterbringung der Pankratiusschüler in dieser Zeit im Schulzentrum gedacht.
Das nächste Durcheinander ließ nicht lange auf sich warten. Wegen der chaotischen Kommunikation, wegen des verbissenen Kampfes um einen Neubau, der im politischen Bereich des Schulträgers teils populistische Züge annahm, auch wegen der ständigen Streitereien und Nachbesserungswünsche von verschiedenen Seiten, war der Zeitplan nicht mehr zu halten. Nun sollte es das Schuljahr 2019/20 sein. Das wiederum hatte zur Folge, dass die aufwachsende Gesamtschule einen Teil der ins Auge gefassten Räume im kommenden Schuljahr für ihre neue gymnasiale Oberstufe selbst benötigt. Zumindest war nun weniger Platz vorhanden als zuvor geplant, zumal es nicht nur um Klassenräume, sondern auch um Fachräume, um Schulhofflächen, Mensanutzung, Zeitpläne und mehr geht.
Über die nun erforderlichen anderen Unterbringungsmöglichkeiten gab es wieder Streit an mehreren Fronten. Über die Frage, ob vier Stunden Gespräch genügend Transparenz bedeuten, stritten sich – in Schulträgerfragen weisungsbefugter – Bürgermeister und – in Schulträgerfragen ihm gegenüber weisungsgebundene – Schulleiterin in einer Ausschusssitzung auf offener Bühne. Die Vorlage der Verwaltung enthielt als Anlagen auch diverse Schreiben aus den Schulen, aber wieder keine Stellungnahme der Schulkonferenz.
Aber: Wenn die Not am größten … Die Schule der kirchlichen Stiftung Haus Hall machte nun ein Angebot zur Zusammenarbeit. Hier können Schüler der Pankratiusschule untergebracht werden. Diese Nachricht kam wohltuend geräuscharm daher. Am 15. Mai beschloss der Rat ein Konzept, dass in der zwanzigmonatigen Bauphase die Gesamtschule, die Förderschule der Stiftung Haus Hall und den Teilstandort Hochmoor vorsieht. Die öffentliche Wahrnehmung dieser Meldung ging allerdings in der seltsamen Frage unter, ob der Bürgermeister nach der Bauzeit von 20 Monaten noch Bürgermeister in Gescher oder schon in Bocholt sei. Die Erfolgsmeldung, dass die Sanierung, Renovierung und Erweiterung der Pankratiusschule jetzt endlich in trockenen Tüchern war, gönnte man ihm wohl nicht. Die Berichterstattung in den Medien stellte die Reaktionen des Bürgermeisters und der Bocholter CDU nun in den Vordergrund – ein Abschluss, der in einer skurrilen Relation zu den vielen Überlegungen, Auseinandersetzungen und Profilierungsbemühungen zuvor steht.
Fazit
Das Durcheinander in der Kommunikation, die ständigen Forderungen nach mehr oder zumindest anderem, das Nichtbeachten von Zuständigkeiten, der Wunsch von einigen Kommunalpolitikern, sich als Anwalt einer Schule aufzuspielen, der sie letztlich durch ihre, nun, sagen wir unorthodoxe Art geschadet haben – alle diese Faktoren haben zum Desaster beigetragen.
Schauen wir zum Schluss ins Schulgesetz, dem wir entnehmen können, wie die Entscheidungsfindung in derartigen Fragen aussehen sollte.
Zunächst sehen wir uns die Rolle des Schulleiters bzw. der Schulleiterin an:
§ 59
Schulleiterinnen und Schulleiter
…
(2) Die Schulleiterin oder der Schulleiter
1. leitet die Schule und vertritt sie nach außen,
…
(3) Zu den Leitungsaufgaben der Schulleiterin oder des Schulleiters gehören insbesondere die Schulentwicklung, die Personalführung und Personalentwicklung, die Organisation und Verwaltung sowie die Kooperation mit der Schulaufsicht, dem Schulträger und den Partnern der Schule.
…
(11) Die Schulleiterin oder der Schulleiter arbeitet mit dem Schulträger eng und vertrauensvoll zusammen und stellt ihm die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen zur Verfügung. Die Anordnungen des Schulträgers in seinem Aufgabenbereich sind für die Schulleiterin oder den Schulleiter verbindlich.
Das heißt, nicht Eltern oder Lehrer oder Schüler vertreten die Schule nach außen, also auch nicht gegenüber dem Schulträger, sondern nur die Schulleiterin. Die Zusammenarbeit zwischen ihr und dem Schulträger soll eng und vertrauensvoll sein.
Und jetzt zur Schulkonferenz:
§ 65
Aufgaben der Schulkonferenz
(1) An jeder Schule ist eine Schulkonferenz einzurichten. Sie ist das oberste Mitwirkungsgremium der Schule, in dem alle an der Bildungs- und Erziehungsarbeit der Schule Beteiligten zusammenwirken. Sie berät in grundsätzlichen Angelegenheiten der Schule und vermittelt bei Konflikten innerhalb der Schule. Sie kann Vorschläge und Anregungen an den Schulträger und an die Schulaufsichtsbehörde richten.
(2) Die Schulkonferenz entscheidet im Rahmen der Rechts- und Verwaltungsvorschriften in folgenden Angelegenheiten:
1. Schulprogramm (§ 3 Abs. 2),
…
20. besondere Formen der Mitwirkung (§ 75),
21. Mitwirkung beim Schulträger (§ 76),
…
Das heißt, nicht die „Schulpflegschaft“ oder die „Elternschaft“ richten „Vorschläge und Anregungen“ an den Schulträger, sondern die Schulkonferenz. Sie entscheidet sogar im Rahmen der Mitwirkung der Schule beim Schulträger, wie sie im § 76 des Schulgesetzes beschrieben ist.
Und wie ist die Schulkonferenz zusammengesetzt?
§ 66
Zusammensetzung der Schulkonferenz
(1) Die Schulkonferenz hat bei Schulen mit
a) bis zu 200 Schülerinnen und Schülern 6 Mitglieder, an Berufskollegs 12 Mitglieder,
b) bis zu 500 Schülerinnen und Schülern 12 Mitglieder,
c) mehr als 500 Schülerinnen und Schülern 18 Mitglieder.
(2) Die Schulkonferenz kann mit den Stimmen von zwei Dritteln ihrer Mitglieder eine Erhöhung der Mitgliederzahl beschließen, wobei das Verhältnis der Zahlen nach Absatz 3 zu wahren ist.
(3) Mitglieder der Schulkonferenz sind die Schulleiterin oder der Schulleiter sowie die gewählte Vertretung der Lehrerinnen und Lehrer, Eltern, Schülerinnen und Schüler im Verhältnis
Lehrerinnen und Lehrer : Eltern : Schülerinnen und Schüler
1. an Schulen der Primarstufe 1 : 1 : 0
2. an Schulen der Sekundarstufe I, an Schulen mit Primarstufe und Sekundarstufe I sowie an Schulen der Sekundarstufe I und II 1 : 1 : 1
3. an Schulen der Sekundarstufe II 3 : 1 : 2
4. an Weiterbildungskollegs und dem Kolleg für Aussiedlerinnen und Aussiedler 1 : 0 : 1.
Das heißt, dass in der Schulkonferenz der Pankratiusschule Eltern und Lehrer im Verhältnis 1 : 1 vertreten sind. Nicht die Wünsche und Vorstellungen der Lehrer, nicht die Wünsche und Vorstellungen der Eltern gehen an den Schulträger, sondern die Beschlüsse der Schulkonferenz, über die sich Lehrer und Eltern in den Beratungen dieses Gremiums verständigt, vielleicht auch zusammengerauft haben. Hier ist der Ort der Mitwirkung der Eltern, nicht im direkten Verkehr mit dem Schulträger. Die Ergebnisse der Schulkonferenz werden von der Schulleiterin dem Schulträger übermittelt, von niemand sonst; sie vertritt die Schule nach außen.
Schauen wir, was das Schulgesetz zur Rolle der Eltern sagt, die in der Schulpflegschaft vertreten sind:
§ 72 Schulpflegschaft
…
(2) Die Schulpflegschaft vertritt die Interessen der Eltern bei der Gestaltung der Bildungs- und Erziehungsarbeit der Schule. Sie berät über alle wichtigen Angelegenheiten der Schule. Hierzu kann sie Anträge an die Schulkonferenz richten.
…
Die Eltern werden also bei den Beratungen und Entscheidungen in der Schule im Rahmen der Möglichkeiten der von ihnen gewählten Schulpflegschaft tätig. Diese kann initiativ werden, indem sie Anträge an die Schulkonferenz richtet. Dort werden diese Anträge beraten und über ihre weitere Bearbeitung entschieden.
Und nun fehlt noch der Schulträger:
§ 76
Mitwirkung beim Schulträger
Schule und Schulträger wirken bei der Entwicklung des Schulwesens auf örtlicher Ebene zusammen. Die Schule ist vom Schulträger in den für sie bedeutsamen Angelegenheiten rechtzeitig zu beteiligen. Hierzu gehören insbesondere
…
4. räumliche Unterbringung und Ausstattung der Schule sowie schulische Baumaßnahmen,
5. Schulwegsicherung und Schülerbeförderung,
…
Die Schule wird also vom Schulträger beteiligt, wenn es um die Räume, die Ausstattung und um Baumaßnahmen der Schule geht. Innerhalb der Schule befasst sich die Schulkonferenz mit der Thematik. Die Meinungsbildung in der Schulkonferenz kann selbstverständlich in Lehrerkonferenz und Schulpflegschaft vorbereitend diskutiert werden. Aber die Stellungnahme der Schule wird in der Schulkonferenz beschlossen. Gegen diese Regeln ist laufend verstoßen worden.
Bei Loriot war es ein einzelner Herr, der das Chaos verursacht. Bei der Pankratiusschule haben sich viele Akteure redliche Mühe gegeben. Jetzt steht Aufräumen auf dem Programm.