Informationen zur Briefwahl?
In der Post ist ein Brief von Herrn Wüst, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen. Auf dem Umschlag steht der Aufdruck: „Informationen zur Briefwahl“. Beim Lesen des Textes muss ich bis zum Ende suchen. Da steht er, der einzige Satz, der sich auf die Briefwahl bezieht: „Schon jetzt mit der Briefwahl.“ Weiter nichts. Das Etikett lässt „Informationen zur Briefwahl“ vermuten, was der Adressat bekommt, ist Wahlwerbung für die CDU (die selbstverständlich sinnvoll und zulässig ist), aber eben keine Information zur Briefwahl.
Lehrer – Personen oder Stellen?
Natürlich habe ich mir dann angeschaut, was in dem Schreiben zum Thema Schule steht: „Für bessere Bildung haben wir 10.000 zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer eingestellt. Um kleinere Klassen zu ermöglichen, wollen wir weitere 10.000 einstellen.“
Zuerst einmal: Es gibt einen Unterschied zwischen „Lehrerinnen und Lehrern“ einerseits und „Lehrerstellen“ andererseits. Lehrerinnen und Lehrer sind Personen, Menschen mit einer Ersten und Zweiten Staatsprüfung für ein Lehramt an Schulen in NRW. Sie können in Vollzeit oder in Teilzeit arbeiten, können gesund oder krank sein oder in der Ruhestand treten. Lehrerstellen sind „Positionen“ im Landeshaushalt, die Bereitstellung von Haushaltsmitteln für jeweils eine Vollzeit-Lehrerstelle. Die Zahlen unterscheiden sich selbstverständlich: Wenn zwei Lehrkräfte zu je 50% in Teilzeit arbeiten, dann sind es zwei Personen, die eingestellt wurden, sich aber eine Stelle teilen.
Auf der Website des Schulministeriums heißt es: „Seit 2017 hat die Landesregierung rund 16.000 Lehrerstellen geschaffen und erhalten, knapp 10.000 zusätzliche Stellen wurden geschaffen, mehr als 6.300 von der Vorgängerregierung zur Streichung vorgesehene Stellen wurden erhalten.“ Die Zahl 10.000 taucht hier nicht als „Lehrerinnen und Lehrer“ (Personen), sondern als „Stellen“ (Haushaltsplan) auf. Wie wir gerade festgestellt haben, müsste sich die Zahl der Personen von der Zahl der Stellen unterscheiden. Wichtig wäre zu wissen: Was stimmt? Lehrer oder Lehrerstellen?
Lehrerstellen
Der Tabelle des Ministeriums folgend, sind es wohl Stellen.

Wichtig ist letztlich, dass die neuen Lehrerstellen mit Lehrkräften, mit Personen, besetzt werden können. Der Lehrerverband VBE äußerte sich zu diesem Thema 2018:
Noch im November konnten über die Hälfte der ausgeschriebenen Stellen an den Grundschulen nicht besetzt werden.
https://vbe-nrw.de/?content_id=5240
Und wie den Grundschulen ging und geht es auch vielen anderen Schulformen und damit den Schulen, wie die Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage im Landtag zeigt.

Der Lehrerarbeitsmarkt war und ist immer noch für fast alle Schulformen ziemlich leer. Lehrermangel und Lehrerüberschuss kann es auf dem Arbeitsmarkt gleichzeitig geben. Je nach Schulform, erst recht nach Fächern, stellt sich die Situation unterschiedlich dar. So gibt es für MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) kaum Bewerber, für Gesellschaftslehre sehr wohl. Das heißt: Auch wenn man 10.000 Stellen zusätzlich in den Haushalt einstellt, heißt es nicht, dass alle 10.000 besetzt werden können.
Lehrerstellen werden nicht willkürlich festgesetzt, es gibt Jahr für Jahr eine Verordnung, die ihre Berechnung festlegt. Sie heißt „Verordnung zur Ausführung des § 93 Abs. 2 Schulgesetz (VO zu § 93 Abs. 2 SchulG)“. Darin steht für jede Schulform und jede Schulstufe die Lehrer-Schüler-Relation; einfach ausgedrückt: für wie viele Schüler es eine Lehrerstelle gibt. Ich habe in die Tabelle zur Illustration nur drei Schulformen bzw. -stufen aufgenommen. Wie man sieht, hat sich von 2018 bis 2022 nichts verändert.
2018 | 2022 | |
Grundschule | 21,95 | 21,95 |
Hauptschule | 17,86 | 17,86 |
Sekundarstufe II (Oberstufe von Gymnasium und Gesamtschule) | 12,70 | 12,70 |
Im März melden alle Schulen ihre zu erwartenden Schülerzahlen an die zuständigen Behörden (Landesamt für Statistik – it.nrw -, Schulaufsicht, Schulträger). Die Zahl, die eine Grundschule meldet, wird durch 21,95 dividiert, und schon hat man die Grundstellen einer Schule; für besondere Aufgaben kann es Zuschläge geben, die ebenso an die Statistikmeldungen geknüpft sind. (Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Lehrer-Schüler-Relation bildet nicht die Klassenstärken ab.) Wenn also die Schülerzahl einer Schule oder im Land insgesamt steigt , ergeben sich automatisch mehr Lehrerstellen. Weil in NRW die Schülerzahlen in den letzten Jahren gestiegen sind, ist eine größere Zahl von Lehrerstellen die natürliche Folge. Hierzu passt das Zitat aus dem oben erwähnten Brief: „Um kleinere Klassen zu ermöglichen, wollen wir weitere 10.000 einstellen.“ (Kursiv vom Autor HV). Kleinere Klassen sind demnach wohl noch nicht Folge der bisherigen Einstellungen, sondern erst in der Planung. Dafür müsste die Lehrer-Schüler-Relation herabgesetzt werden – und der Arbeitsmarkt es hergeben.
Lehrerinnen und Lehrer
Auch wenn tatsächlich Personen und keine Stellen gemeint sind, ergeben sich Fragen:
- Sind die „zusätzlich“ eingestellten Lehrer tatsächlich Lehrer? Oder vielleicht – wie immer wieder vom Schulministerium gesucht und gemeldet – sind die meisten nicht Lehrer, sondern zum Beispiel Biologen, Mathematiker, Physiker, Kirchenmusiker oder Ingenieure, die meisten ohne (vollständige) pädagogische Ausbildung, weil es die passenden Lehrer auf dem Arbeitsmarkt nicht gibt? Werden diese ebenso wie die Lehrer mit zwei Staatsprüfungen mitgezählt?
- Woher sollen weitere 10.000 Lehrkräfte kommen? Die sitzen nicht in Warteposition, erst recht nicht mit den Mangelfächern MINT, aber auch nicht mit Musik, Latein und weiteren Fächern. Selbst wenn 2017 unter den Abiturienten mit der Werbung für den Lehrerberuf begonnen wurde, sind die damaligen Studienanfänger 2022 noch nicht fertig ausgebildete Lehrkräfte. Regelstudienzeit, Vorbereitungsdienst und zwei Staatsprüfungen brauchen ihre Zeit.
Fazit
Manches ist hier sehr vereinfacht dargestellt, dabei entsteht ein mindestens unvollständiges Bild. Mich würde mehr interessieren, was aus den Wahlkampfthemen von 2017 geworden ist: Inklusion, Rechtschreiben in den ersten Schuljahren, Unterrichtsausfall …
Die meisten der beschriebenen Schwierigkeiten sind nicht Folge der Politik der amtierenden oder der vorigen Landesregierung. Es sind Rahmenbedingungen, die bei der Arbeit berücksichtigt werden müssen. Nur das Locken mit Informationen zur Briefwahl stört mich – und die Unklarheit beim Gebrauch der Begriffe Lehrer und Lehrerstellen. Lehrerstellen im Haushalt sind ein Erfolg erst dann, wenn sie mit gut ausgebildeten Lehrkräften besetzt sind.
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