Es ist Wahlkampf. Schulpolitik ist eines der Felder, das wählenden Eltern wichtig ist Also macht die FDP Wahlkampf mit dem Thema Schule, und weil sie angesichts der Wahlausgänge im Saarland und in Schleswig-Holstein verzweifelt ist, fällt sie in den Schul-Kulturkampf vergangener Zeiten zurück:
„Jetzt wollen wir NRW noch weiter nach vorne bringen:
Wahlwerbung der FDP in NRW
– …
– mit Schulvielfalt statt grüner Einheitsschule, weil wir jedes Kind individuell besser machen wollen statt alle mittelmäßig.
– mit der Förderung aller Talente nach ihren individuellen Fähigkeiten unabhängig von der Herkunft.“
Das Menschenbild der FDP
Die FDP weiß nicht nur, wie man Kinder „macht“, sie weiß offenbar auch, wie man Kinder „besser“ macht. Das ist Unsinn, überheblich und grotesk. Kinder werden in der Schule nicht „gemacht“, sie werden gebildet, das ist die Aufgabe der Schule. Und diese Aufgabe wird in enger Zusammenarbeit mit den Eltern und unter Berücksichtigung der individuellen Ausgangslage jedes einzelnen Kindes wahrgenommen. Das gilt grundsätzlich für alle Schulen und Schulformen.
In ihrer Verzweiflung greift die FDP auf den Begriff der „Einheitsschule“ zurück. In den Grabenkämpfen des vorigen Jahrhunderts, als man noch über die „beste“ Schulform stritt, wurde dieser Begriff von CDU und FDP benutzt, um Vertreter integrativer Schulen zu diskreditieren. Die Unterstellung, es gebe Schulen oder Politiker, die „gleich mittelmäßige“ Kinder „machen“ wollten, ist schlicht dumm.
Die Grundschule ist eine wichtige Einheitsschule
Die Grundschule zum Beispiel ist eine typische „Einheitsschule“. Sie wird von allen Kindern besucht, sofern nicht ein Förderbedarf besteht, der für die Aufnahme in eine Förderschule spricht. Die Grundschule ist ein Kind der Weimarer Verfassung von 1919.
Die „für alle gemeinsame Grundschule“ wurde mit der Weimarer Reichsverfassung von 1919 beschlossen. Das war, zumindest auf dem Papier, eine gesellschaftliche Revolution. Damals bekamen Kinder aus wohlhabenden Familien noch Hausunterricht, ärmere Kinder gingen in überfüllte Volksschulen. Auch die Trennung nach Geschlechtern sowie evangelischen und katholischen Schülern war üblich. Mit der neuen Verfassung kam die allgemeine Schulpflicht. Die für alle verpflichtende Grundschule sollte in der jungen Weimarer Republik Standesunterschiede überbrücken und Gesellschaftsschichten zusammenführen.
Süddeutsche Zeitung, 13. September 2019: „100 Jahre Grundschule“
Die Grundschule als Einheitsschule ist auch aus gesellschaftspolitischen Gründen entstanden, zur Überwindung des Ständestaates, zur Abschaffung der „Prinzenerziehung“ in wohlhabenden Haushalten. Kinder aller sozialen und wirtschaftlichen Schichten sollten in einer Schule unterrichtet werden, um Erfahrungen miteinander zu sammeln, auch voneinander zu lernen, andere Lebensverhältnisse kennenzulernen.
Das Schulgesetz in NRW beauftragt alle Schulen, unabhängig von der Schulform und der Schulstufe, individuell zu fördern. Wenn die FDP der Meinung ist, es werde in den Schulen zu wenig individuell gefördert, sollte sie die FDP-Schulministerin Gebauer nach der Effizienz ihres Ministeriums fragen.
„Einheitsschulen“ in den Sekundarstufen I und II
Natürlich wird auch in den Sekundarschulen wie in den Gesamtschulen individuell gefördert; Differenzierung und Individualisierung sind Kernanliegen dieser Schulen. Der Kampf der siebziger und achtziger Jahre ist vorbei. Bei rückläufigen Schülerzahlen schalteten viele CDU-geführte Kommunen um und gehörten zu den ersten, die die vorher geschmähte „Einheitsschule“ als Gesamtschule einführten: Saerbeck, Nordwalde, Olfen – um nur ein paar Beispiele aus dem Münsterland zu nennen. Es ging um den Erhalt einer weiterführenden Schule am Ort, nachdem die Eltern die Hauptschule mieden. Und dass die Einheitsschule „ankam“, ließ und lässt sich auch heute noch an den Nachfragen auch aus Nachbarkommunen ablesen. Für die Stadtentwicklung ist der Umstand interessant, dass eine Gesamtschule Kommunen die Abituroptionen am Ort bietet.
Fazit
Ich will hier nicht in die ermüdende Diskussion einsteigen, die im vorigen Jahrhundert viele Wunden geschlagen hat. Es gibt gute Schulen jeder Schulform, und es gibt weniger gute Schulformen jeder Schulform. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die Forschung, welche Faktoren eine gute Schule ausmachen, hat als wichtige Faktoren Schulleitung, Lehrkräfte, Lage, Ausstattung und noch viel mehr ausgemacht. Dazu an anderer Stelle mehr.
Wer sich einen Überblick verschaffen will, welche Komponenten in Nordrhein-Westfalen für Schulqualität stehen, kann sich in dieser Broschüre des Schulministeriums kundig machen: Referenzrahmen Schulqualität NRW. Um es vorweg zu sagen: Die Kategorie „Schulform“ gehört nicht dazu.