Wenn von prägenden Persönlichkeiten der Schulszene in Gescher die Rede ist, liegt der Name Anneliese Kernebeck nahe. Sicher haben die Nachricht von ihrem Tod, die Nachrufe des Schulamtes für den Kreis Borken als zuständiger Dienststelle und der Stadt Gescher als Schulträger bei vielen Menschen in Gescher gute Erinnerungen wachgerufen.
Anneliese Kernebeck stammte aus Osterwick, war dort am 26. Juli 1930 geboren worden. Nach der Schulzeit und einer Bürotätigkeit hatte sie an einer Pädagogischen Akademie die damals für das Lehramt an Volksschulen üblichen vier Semester studiert und war später in Gescher Lehrerin geworden.
Mit Osterwick blieb sie verbunden, nicht zuletzt wegen der engen Bindung an ihr Elternhaus und ihre Geschwister. Das hielt sie nicht davon ab, in Gescher Wurzeln zu schlagen, die sie auch nicht kappte, als sie ihren Lebensabend mit ihrer Schwester wieder in Osterwick verbrachte. Das Schicksal führte sie ganz zum Schluss noch einmal nach Gescher, für einige Monate in das Seniorenstift Berkelaue, in dem sie vier Wochen nach ihrem 92. Geburtstag starb.
Die Pankratiusschule, eine katholische Konfessionsschule in kommunaler Trägerschaft, sollte ihr Leben prägen – und umgekehrt. Bis zur Pensionierung 1994 war sie die gute Seele dieser Institution. Ob Lehrerin, Konrektorin oder Rektorin, immer kannte sie Kinder und Eltern, wusste Rat, tröstete oder ermutigte. Voller Wärme gab sie jedem Gesprächspartner, ob Kind oder Erwachsener, das Gefühl, ernstgenommen zu werden.
Dass sie mit den örtlichen Verhältnissen vertraut war und viele Familien über Generationen kannte, hängt auch damit zusammen, dass sie ganz selbstverständlich an ihrem Schulort wohnte. Zwar gab es die Residenzpflicht für Lehrkräfte nicht mehr, also die Pflicht, am Dienstort zu wohnen, dennoch lebten in diesen Jahren fast alle Lehrerinnen und Lehrer in der Gemeinde oder ihrer unmittelbarer Umgebung.
Anneliese Kernebeck wohnte zunächst zeitweise im Pfarrhaus und wurde so Mitglied der Nachbarschaft Dornröschen, zu der die in der Nähe der Kirche wohnenden Familien gehörten und heute noch gehören. Auch als Frau Kernebeck innerhalb Geschers und viel später an ihren Geburtsort umzog, blieb sie dieser Nachbarschaft verbunden. Bei der Beerdigung am 31. August 2022 nahmen die Nachbarn aus Gescher die üblichen Ehrenpflichten wahr: Sie verteilten vor dem Seelenamt die Totenzettel und trugen nach den Exequien den Sarg zum Grab.
Dass Anneliese Kernebeck wie auch die anderen Lehrerinnen und Lehrer an den örtlichen Festen und Feiern teilnahm, war selbstverständlich. Beim Schützenfest der Pankratius-Gilde, beim Fest der Kameradschaft, bei den Feiern der Nachbarschaft war sie präsent. Sie pflegte hier Freundschaften, lernte viele Menschen kennen und erfuhr so manches, was ihr im schulischen Alltag half.
Die Pankratiusschule war eine Konfessionsschule, wie die meisten anderen Volksschulen in den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg. Die Grenzen der Schulbezirke stimmten in der Regel mit denen der Pfarrgemeinde überein, so dass die Katechesen zur Erstbeichte und zur Erstkommunion in der Schule stattfanden. Es gab in ihrer Dienstzeit wohl keine Fronleichnamsprozession, bei der Anneliese Kernebeck nicht mit den Kommunionkindern des Jahres den Weg durch die Straßen und Felder mitging und an den vier Altären stand. Man erzählt sich auch, dass sie als erste in den Beichtstuhl ging, wenn ihre Kinder zum ersten Mal beichteten. Auch hier war sie Vorbild.
Pankratiusschule und Pfarrgemeinde hatten ein gutes, ein enges Verhältnis. Pastor Ulrich Derstappen (ab 1970 Pfarrer an St. Pankratius) und Anneliese Kernebeck arbeiteten vertrauensvoll zusammen; sie kannten einander bereits aus Schulzeiten. Er erteilte Religionsunterricht, feierte mit der Schule Gottesdienste und konnte bei vielen Aufgaben in der Gemeinde auf Anneliese Kernebeck zählen.
Für die Kolleginnen und – seltener – Kollegen war sie ab 1969 eine verständnisvolle kommissarische Schulleiterin. 1970 wurde sie zur Rektorin ernannt. Sie trat die Nachfolge von Werner Marx an, der als Schulleiter an die neue Hauptschule am Borkener Damm wechselte. Bis dahin war sie seine loyale Konrektorin. Die beiden ergänzten einander gut – die kommunikative, freundliche und im Ort gut vernetzte Konrektorin und der effiziente Organisator mit guten Kenntnissen in Schulentwicklung und Schulpolitik.
Ihre Autorität als Vorgesetzte zog sie nicht aus ihrem Amt, sondern aus ihrem transparenten und partizipativen Führungsstil. Ihre freundliche und klare Art, ihr Verständnis für die Anliegen ihrer Kolleginnen und Kollegen (einschließlich Hausmeister und Sekretärin) trugen ihr deren Zuneigung ein. Sie konnten sich auf sie verlassen und schätzten ihre fachlichen Kompetenzen, ihr intuitives Geschick im Gespräch ebenso wie ihre Kenntnisse über den Schulort und seine Bewohner.
1994 ging sie nach ertragreichen Jahrzehnten als Lehrerin und Schulleiterin in den Ruhestand. Im Gedächtnis der Stadt und ihrer Bewohner wird sie als beliebte Pädagogin, Ratgeberin und einfühlsame Gesprächspartnerin bleiben.