1976: Stadtlohn und die konfessionslose Lehrkraft

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Eine Kleine Anfrage von zwei Abgeordneten der SPD im Landtag von NRW an die Landesregierung: Es geht – wie der Text im weiteren Verlauf zeigt – um die Stadt Stadtlohn, die zur Einstellung einer konfessionslosen Lehrerin an einer Gemeinschaftshauptschule die Zustimmung versagt hatte, und zwar „aufgrund ihrer Weltanschauung“, wie es im Betreff heißt. – Wie konnte es dazu kommen? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir etwas über den historischen Zusammenhang wissen.

Hier kann man die Anfrage im Netz finden.

Eine Zeitreise – 50 Jahre vorwärts in die Vergangenheit

Wir schreiben das Jahr 1976. Seit acht Jahren ist die Schulreform in Kraft, die die Volksschule in Grundschule und Hauptschule zerlegte. Dabei wurde die Hauptschule als „Schule weiterführender Bildung“, als weiterführende Schule also, neben Realschule und Gymnasium gestellt. Ihr Auftrag war gemäß Paragraf 16 (2): „Die Hauptschule bereitet auf die Berufsreife als qualifizierten Abschluß vor und eröffnet den Zugang zu weiteren Bildungswegen.“ Formal übernahm sie etliche Merkmale von Realschule und Gymnasium, die hier nicht weiter ausgeführt werden sollen. In einem Punkt aber gab es eine Ausnahme, nämlich in der Bestimmung der Schulart von weiterführenden Schulen. Öffentliche Realschulen und Gymnasien, also solche, die nicht in privater Trägerschaft zum Beispiel von Orden, Vereinen oder Kirchengemeinden standen, waren grundsätzlich Gemeinschaftsschulen. Hauptschulen gingen jedoch oft aus Bekenntnisschulen hervor.

Volksschulen waren vor 1968 zum größten Teil Bekenntnisschulen. Oft waren ihre Schulbezirke deckungsgleich mit dem Gebiet einer Pfarrgemeinde oder eines Teiles davon; auf diese Weise war eine enge Bindung der jeweiligen Volksschule an die Pfarrei und den oder die Seelsorger gewährleistet. Ein Geistlicher übernahm an etlichen Schulen einen Teil des Religionsunterrichts. Auf diese Weise gab es einen nennenswerten Schub für die religiöse Sozialisation. Weder Kirchen noch kirchennahe Politiker wollten bei der Errichtung von Hauptschulen auf diesen Vorteil verzichten. Wie so oft in der Politik gab es einen Kompromiss. Der war zwischen SPD-geführter Landesregierung und CDU-geführter Opposition auch nötig, weil mit der Schulreform die Landesverfassung geändert werden musste, wofür die Zweidrittel-Mehrheit erforderlich war.

Hauptschulen als Konfessionsschulen und als Gemeinschaftsschulen

Im wesentlichen lautete der gefundene Kompromiss: Grundsätzlich wurden Hauptschulen Gemeinschaftsschulen, wie der § 18 des Schulordnungsgesetzes, das damals galt, vorschreibt.

§ 18

(1) Hauptschulen sind von Amts wegen als Gemeinschaftsschulen zu errichten. Auch die Teilung einer Schule in mehrere selbständige Schulen oder die dauernde Zusammenlegung mehrerer selbständiger Schulen zu einer Schule ist eine Errichtung von Amts wegen. Es ist zu gewährleisten, daß Gemeinschaftsschulen in zumutbarer Weise erreicht werden können.

(2) Auf Antrag der Erziehungsberechtigten sind Hauptschulen als Bekenntnisschulen oder Weltanschauungsschulen zu errichten, soweit ein geordneter Schulbetrieb im Sinne des § 16 a bei diesen gewährleistet ist und eine Gemeinschaftsschule für die übrigen Kinder in zumutbarer Weise erreicht werden kann.

(3) Hauptschulen sind in Gemeinschaftsschulen umzuwandeln, wenn Erziehungsberechtigte, die ein Drittel der Schüler vertreten, dieses beantragen.

Historisches Schulordnungsgesetz

So entstanden in vielen Städten sowohl Hauptschulen als Gemeinschaftsschulen als auch als Bekenntnisschulen. Bekenntnisschulen waren von Gesetzes wegen Schulen, an denen – mit gewissen Ausnahmen – Schüler einer Konfession von Lehrern derselben Konfession unterrichtet und erzogen wurden. In Gescher gab es nur eine Hauptschule, folglich war diese eine Gemeinschaftsschule, in Stadtlohn und Vreden gab es je zwei Hauptschulen, jeweils eine Konfessionsschule und eine Gemeinschaftsschule.

Aus dieser Konstellation kann man schlüssig ableiten, dass für eine konfessionslose Lehrkraft eine Gemeinschaftsschule der richtige Einsatzort war, da sie für eine Konfessionsschule grundsätzlich nicht infrage kam.

Stadtlohn verweigert konfessionsloser Lehrkraft die Zustimmung

Das damals gültige Schulverwaltungsgesetz regelte die Zusammenarbeit von Land und Kommune bei der Besetzung der Lehrer- und Schulleiterstellen. Bei den Schulleiterstellen hatten die Städte und Gemeinden ein Vorschlagsrecht für die Mehrzahl der Stellen, für jede dritte Stelle zum Beispiel nicht, sie wurde unmittelbar vom Regierungspräsidenten besetzt. (Je nach Schulform und -stufe variierte der Schlüssel). Bei den Lehrerstellen war es ähnlich; hier hatten die Kommunen in der Mehrzahl der Fälle kein Vorschlagsrecht, stimmten aber den Vorschlägen der Schulaufsicht (also des Landes) zu.

Dieses Zusammenspiel lief in der Regel geräuschlos und routiniert ab. Manchmal stritt man sich über die Besetzung einer Schulleiterstelle; der Einstellung von Lehrern stimmten die Schulausschüsse der Räte in aller Regel zu. Nicht so Stadtlohn! Als in den Unterlagen zu einer Lehrerin keine Konfession eingetragen war, verweigerte der Hauptausschuss des Rates wie auch der Schulausschuss die Zustimmung zur Einstellung, die nach § 24 SchVG erforderlich war. Als Begründung wurde die fehlende „christliche Konfession“ der Lehrerin genannt.

Den weiteren Gang der Dinge kann man der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage entnehmen.

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Man kann sich die Frage stellen, warum sich der Rat, die Ausschüsse und die Verwaltung der Stadt Stadtlohn so sehr auf die Verweigerung der Zustimmung festgelegt hatten, obwohl die Sache rechtlich eindeutig und von vornherein aussichtslos war. Die Antwort mag in den religiös wie politisch konservativen Einstellungen der Wählerschaft in jener Zeit zu suchen sein.

Bleibt festzuhalten, dass die Lehrkraft letztlich ihren dauerhaften (und dort willkommenen) Einsatz in einer benachbarten Stadt – und nicht in Stadtlohn – fand.